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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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die Schulter nach unten zu ihrem Hosenboden. Als sie das Blut sieht, kreischt sie auf. Sie ist voll davon, und jetzt schreien beide Mädchen. Khanom Mansuri versucht, ihren kinderzarten Körper hochzustemmen, und murmelt: »Aiiii … Sie muss nicht ins Krankenhaus. Hört mit der Schreierei auf und dem Drama-
bazi, khodaya
. Lasst mich mal in Ruhe nachdenken.« Der verwirrte Ausdruck auf einem Gesicht, das von jahrelanger Erfahrung gezeichnet ist, versetzt Saba nur noch mehr in Panik. Bestimmt hat sie Krebs. Oder einen geplatzten Tumor. Oder innere Blutungen. Die alte Frau brabbelt weiter. »Ponneh-dschan, hol lieber Khanom Omidi oder Khanom Basir oder sonst jemanden …«
    Schon zehn Minuten später treffen Khanom Omidi und Khanom Basir ein, und sie lachen und plaudern, als wäre alles in bester Ordnung. Saba würde sie am liebsten anschreien. Sie liegt praktisch im Sterben, und die beiden könnten wenigstens so viel Mitgefühl aufbringen, wie sie an den Tag gelegt haben, als sie Mahtabs Tod vortäuschten und sie nach Amerika schickten.
    »Mal überlegen, wie ich das am besten erkläre«, sagt Khanom Omidi, die auf einem Basilikumblättchen kaut. Offensichtlich ist sie beim Essen unterbrochen worden. Sie rückt ihren Bund zurecht und tätschelt Sabas zittrige Hand, während sie nach den richtigen Worten sucht. »Früher hätten wir das dem ganzen Ort erzählen müssen … und es gibt da eine Geschichte … lass mich nachdenken.« Sie setzt sich hin, und da sie ihr Schielauge nie vergisst – das nur zu sehen ist, wenn sie nach oben oder nach unten schaut –, zieht sie Saba in ihr Gesichtsfeld. »Es war einmal ein Mädchen namens Hava. Und Gott sprach, dass der Preis der Sünde –«
    Khanom Omidi redet leise, durchforscht ihr Gedächtnis nach kleinen Weisheiten. Sie hat die Gewohnheit, zu allen Angelegenheiten großzügig Ratschläge zu verteilen (ganz gleich, ob sie was davon versteht oder nicht), wie Münzen oder getrocknete Maulbeeren aus den tausend Täschchen, die in die Falten ihrer Umhänge genäht sind. Diese nachsichtige Frau erinnert Saba an die viktorianische Puppe auf ihrem Schreibtisch. Überall auf ihrem Kleid sind staubige Taschen aufgenäht, in denen man Schmuck verstecken kann, den dort niemand vermuten würde. Manchmal steckt Saba Münzen in den Saum ihrer eigenen Kleidung, um sich das beruhigende Gefühl zu verschaffen, einen heimlichen Plan zu haben. Heute könnte sie so einen heimlichen Plan gut gebrauchen.
    Sie versucht, sich an ein Kapitel über Blut und über das Frausein in einem der medizinischen Bücher ihrer Mutter zu erinnern, irgendwas mit Zyklen und Hormonen. Und hat es so ein Unglück mal in einem Roman gegeben? Wenn ihr in Büchern eine Passage komisch vorkommt, schiebt sie das meistens auf ihre Englischkenntnisse und liest drüber weg. Jetzt nimmt Khanom Basir, die Böse, Sabas Hand. Saba will sie wieder wegziehen, doch nachdem die schreckliche Frau zwei Söhne großgezogen hat, kann sie fest zupacken. Und sie sieht aus wie eine Schlange, die gleich zubeißt, wache Augen, eingefallene Wangen und ein listiges, lippenloses Grinsen.
    »Das reicht jetzt«, blafft Khanom Basir die anderen Frauen an, die hinter vorgehaltener Hand kichern. »Über ein Mädchen zu lachen, das diesen Zustand zum ersten Mal erlebt, ist ja, als würde man ein schlafendes Kamel schlagen.«
    Saba und Khanom Basir verbringen die nächste halbe Stunde in der dämmerigen Toilette hinter dem Wohnzimmer. »Du stirbst nicht«, versichert sie Saba in einem Ton, der keinen Widerspruch duldet. Dann erklärt sie ihr alles, fast so sachlich, wie Sabas Mutter es getan hätte. »Es ist ein Fluch, aber eigentlich nicht so schlimm. Wir bluten einmal im Monat, aber dafür müssen Männer schuften und sich abplagen, bis sie sterben. Sie riechen schlecht. Überall wachsen ihnen Haare. Der Anblick ihrer Körper ist beschämend – alles so den Blicken preisgegeben … Ich sage dir, Saba-dschan, ich liebe meine Söhne, Gott weiß, sie sind vollkommen, aber … In deiner Hochzeitsnacht, wenn du es siehst, wirst du verstehen, was ich meine, und du wirst Gott für das danken, was er dir gegeben hat.«
    Hinterher denkt Saba, dass keine von den anderen Frauen ihr die Geheimnisse des Frauseins besser hätte erklären können, ohne viel Getue oder Verlegenheit. Wenn Rezas Mutter gewusst hätte, dass sich Saba all diese Entdeckungen in der Hochzeitsnacht mit einem ihrer eigenen vergötterten Söhne vorstellte, hätte sie ihre Worte

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