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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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wohl sehr viel vorsichtiger gewählt. Dennoch ist Saba ihr dankbar. Sie genießt Khanom Basirs seltene Freundlichkeit, den Versuch, ihr dabei zu helfen, ihren Körper zu akzeptieren. Vielleicht hätte ihre Mutter das Gleiche getan. Nur dass sie dann mit ihr allein gewesen wäre – mit ihr und Mahtab.
    »Sollte ich meine Mutter anrufen?«, fragt Saba. »Ich möchte sie anrufen.«
    Khanom Basirs Körper scheint sich anzuspannen. »Sie kann nicht angerufen werden, da, wo sie ist.«
    »Warum nicht?«, fragt Saba. Vielleicht hat sie jetzt, wo sie eine Frau ist, das Recht auf Wahrheit. »Ich weiß, dass sie in Amerika ist. Ich möchte sie anrufen. Wieso kann ich sie nicht anrufen?«
    »Ach, Gott steh uns bei … Sie ist nicht in Amerika«, sagt Khanom Basir kühl. »Und es ist die Entscheidung deines Vaters, wann er dir alles erzählt. Also nimm das jetzt nicht zum Vorwand, um mal wieder ein Saba-Drama daraus zu machen. Okay? Es gehört zum Frausein dazu, Dinge hinzunehmen, die geschehen, und seinen Schmerz nicht zum Mittelpunkt von allem zu machen. Verstehst du das?«
    »Ja«, sagt sie leise. Wenn ihre Mutter hier wäre, würde Saba ihr sagen, dass ihr der Rücken wehtut. Sie würde ihr die Bedeutungen all der Vokabeln aufzählen, die sie im Wörterbuch nachgeschlagen hat. Sie würde ihr die Listen zeigen, die sie seit der Trennung angelegt hat – Listen mit ihren Lieblingsliedern, den englischen Wörtern, die sie kennt, den Filmen, die sie gesehen, und den Büchern, die sie gelesen hat. An dem Tag, wenn sie sich wiedersehen, wird ihre Mutter das alles wissen wollen.
    Zurück im Wohnzimmer, springt Ponneh auf und jubelt. Offenbar hat auch sie eine Erklärung bekommen. »Toll, Saba! Jetzt bist du eine Frau.«
    »Still, Kind«, sagt Khanom Omidi und wirft etwas getrockneten Jasmin aus ihrem Tschador in die Luft um Saba. »Soll denn die ganze Welt von ihrer so unreinen Geschichte erfahren?«
    Aber Ponneh hört nicht auf sie. Sie macht einen Schritt beiseite und zeigt mit einer so schwungvollen Armbewegung auf ein Teetablett auf dem Boden, als würde sie ein Nouruz-Festmahl präsentieren und nicht Tee,
kouluche
-Gebäck und Kichererbsenkekse, die Ponneh allem Anschein nach in Sabas Vorratskammer gefunden hat. »Ich hab einen Frauwerdungsimbiss für dich gemacht. Damit du vom Blutverlust nicht umkippst oder erfrierst.«
    Sie wirft Khanom Mansuri einen aufgeregten Blick zu, und die alte Frau nickt langsam mit ihrem hennaroten Kopf, die Augenlider vor Müdigkeit und Weisheit halb geschlossen, als wollte sie sagen:
Ja, Ponneh-dschan, du weißt jetzt Bescheid.
    Kurz darauf steht Reza mit seinem dreckigen Fußball und einem Stapel unbespielter Kassetten vor der Tür. Er hofft, Saba wird sie mit Musik füllen, wird aber von den Frauen weggescheucht, deren Getue ziemlich peinlich ist. »Verschwinde, verschwinde. Du hast hier nichts zu suchen!«
    Saba fragt sich, ob auch Mahtab heute diese wichtige neue Erfahrung erlebt hat. Schließlich sind sie ja identisch und durch ihr gemeinsames Blut aneinander gebunden. Wenn ihre Mutter hier wäre, könnte Saba ihr sagen, dass sie sich jetzt tatsächlich älter fühlt. Vielleicht würde Maman erwidern, dass sie zweifellos älter aussieht, jawohl. Doch dann fällt Saba auf, dass es ungerecht sein könnte, jetzt nur an ihre Mutter zu denken – wo diese anderen Frauen sich so sehr um sie gekümmert und sogar die Schande ertragen haben, ein Thema zu erörtern, das jede Perserin, die etwas auf sich hält, besser unter den Teppich kehrt.
    »Tut mir leid, dass ich dich angeschrien hab«, sagt sie zu Ponneh und nimmt einen Frauwerdungskichererbsenkeks direkt aus den schmutzigen Fingern ihrer besten Freundin.

Die Geschichtenerzählerin
    Khanom Basir
    J ede Frau hat ein besonderes Talent, und wenn Sie mich fragen, ist jedes Talent wertvoll und wichtig. Aber wie immer war Bahareh Hafezi da anderer Ansicht als ich. Sie erklärte ihren Töchtern: Wenn ihr nicht beweist, dass ihr klug genug seid, um genau wie Männer Körper zu heilen oder himmlische Bauten wie die dreiunddreißig Bögen zu entwerfen oder schöne Verse wie die
Rubaiyat
zu schreiben, dann befindet die Welt vielleicht, dass ihr die Frau seid, die die besten Kuchen backt oder die köstlichsten Eintopfgerichte kocht oder die beste Opiumpfeife für ihren Gatten macht. Das wird dann eure Rolle.
    »Was für ein trauriges Schicksal! Welch wertlose Arbeit!«, sagte sie, wenn sie wollte, dass die Mädchen ein Buch lasen.
    So ein

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