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Ein Todsicherer Job

Ein Todsicherer Job

Titel: Ein Todsicherer Job Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Moore
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zuletzt die Herausgehobenheit. Es machte nichts, dass er keine Ahnung hatte, was er tat, oder dass er die Liebe seines Lebens dafür verloren hatte: Er war ein Auserwählter. Als ihm dies bewusst geworden war, gab er eines Tages – während er über die California Street den Nob Hill hinunter ins Bankenviertel lief – das Schlendern auf und begann zu stolzieren. Stets hatte er sich minderwertig und weltfremd gefühlt, wenn die Broker und Banker ihn umtänzelten und in ihre Handys bellten, Hong Kong oder London oder New York am Apparat, und hatte niemals Blickkontakt gesucht. An jenem Tag stieg Charlie Asher zum ersten Mal seit seiner Kindheit ins California Street Cable Car, beugte sich weit über das Geländer auf die Straße hinaus, hielt seinen Stock wie bei einer Attacke, während Hondas und Mercedes neben ihm die Straße entlangrasten, kaum eine Hand breit unter seiner Achsel. An der Endstation stieg er aus, kaufte das Wall Street Journal aus einem Kasten, dann trat er an den nächstbesten Gully, breitete die Zeitung aus, um sich nicht einzusauen, sank auf alle viere und schrie hinein: »Ich bin auserwählt, also verarscht mich nicht!« Als er wieder auf die Beine kam, stand ein ganzer Pulk von Leuten an der roten Ampel. Alle starrten ihn an.
    »Musste sein«, sagte Charlie, entschuldigte sich nicht, erklärte nur.
    Die Banker und die Broker, die Geschäftsführungsassistenten, die wandelnde Personaldecke und auch die Frau, die in der Bäckerei Muschelsuppe in Sauerteig servierte, sie alle nickten, ohne genau zu wissen, wieso eigentlich, abgesehen davon, dass sie im Bankenviertel arbeiteten und ganz genau wussten, was es hieß, verarscht zu werden. Im Grunde ihrer Seele – wenn nicht ihres Verstandes – wussten sie, dass Charlie Recht hatte. Er faltete seine Zeitung zusammen, klemmte sie sich unter den Arm, dann machte er kehrt und ging mit ihnen über die Straße, als die Ampel auf Grün umschaltete.
    Manchmal lief Charlie ganze Blocks weit und dachte nur an Rachel, war so vertieft in die Erinnerung an ihre Augen, ihr Lächeln, ihre Berührung, dass er mit Leuten zusammenstieß. Dann wieder rempelte man ihn an, ohne seine Brieftasche zu klauen oder sich auch nur zu entschuldigen, was in New York normal sein mochte, in San Francisco jedoch bedeutete, dass er sich einem Seelenschiffchen näherte, das abgeholt werden musste. Er fand eines – einen bronzenen Feuerhaken, der auf dem Russian Hill im Müll am Bordstein lag. Bei einem anderen, einer Vase, die er im Erkerfenster eines viktorianischen Hauses in North Beach fand, nahm er seinen ganzen Mut zusammen und klopfte an die Tür, und als eine junge Frau auf die Veranda trat, um nachzuschauen, wer sie besuchen wollte, verdutzt, weil sie niemanden sehen konnte, stahl sich Charlie an ihr vorbei, schnappte sich die Vase und war schon zur Hintertür hinaus, bevor sie wieder hereinkam. Sein Herz hämmerte wie eine Kriegstrommel, und das Adrenalin rauschte durch seine Adern wie in einem hormonellen Teilchenbeschleuniger. Als er an diesem Morgen wieder in den Laden kam, wurde ihm bewusst, dass er sich – seit er der Tod war – absurderweise so lebendig fühlte wie noch nie.
     
    Charlie versuchte, jeden Morgen in eine andere Richtung zu spazieren. An Montagen lief er durch Chinatown, noch im Morgengrauen, wenn die Lieferungen kamen – kistenweise Möhren, Broccoli, Salat, Melonen und Blumenkohl, produziert von Latinos im Central Valley und konsumiert von Chinesen in Chinatown, nachdem das Gemüse gerade lange genug in angelsächsischen Händen war, dass die das nahrhafte Geld extrahieren konnten. Montags lieferten die Fischfirmen ihren frischen Fang – üblicherweise kräftige Italiener, deren Familien seit fünf Generationen in der Branche waren und ihren Fang an undurchschaubare, chinesische Händler weitergaben, deren Vorfahren schon vor hundert Jahren Fisch direkt von den Pferdegespannen der Italiener gekauft hatten. Alle möglichen Sorten lebender und jüngst noch lebender Fische wurden über den Bürgersteig geschleppt: Schnapper und Heilbutt und Makrele, Barsch und Kabeljau und Thunfisch, scherenloser Pazifik-Hummer, Taschenkrebse, gruseliger Anglerfisch mit langen Säbelzähnen und einem Stachel am Kopf, an dem ein leuchtender Köder hing, mit dem er seine Beute lockte, so tief im Meer, wo die Sonne nie schien. Charlie war fasziniert von den Kreaturen der Tiefsee, dem glubschäugigen Tintenfisch, Kopffüßern, den blinden Haien, die ihre Beute mit Hilfe

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