Ein Todsicherer Job
Halt den Bordstein an. Creek starrte auf die Mappe unter seinem Arm, weil Charlie darauf deutete, und blieb mit dem Absatz seines Schuhs am schrägen Bordstein hängen. Er verlor das Gleichgewicht, wie es jedem von uns tagtäglich passieren kann, wenn wir durch die Stadt laufen, über einen Riss im Gehweg stolpern und ein paar schnelle Schritte machen, um die Balance wiederzufinden, doch William Creek machte nur einen einzigen Schritt. Rückwärts. Vom Bordstein.
Da gibt es wohl nichts zu beschönigen, oder? Der 41er-Bus nahm ihn auf die Hörner. Creek flog fast fünfzehn Meter durch die Luft, bevor er wie ein fleischgefüllter Gabardinesack auf die Heckscheibe eines Saab schlug, dann wieder auf dem Gehweg landete und Körperflüssigkeiten von sich gab. Seine Habe – die Mappe, der Schirm, eine goldene Krawattennadel, eine TAGHeuer -Uhr – klapperte die Straße hinunter, prallte von Reifen, Schuhen, Gullydeckeln ab und blieb zum Teil erst an der nächsten Kreuzung liegen.
Charlie stand am Bordstein und versuchte zu atmen. Er hörte so einen Pfiff wie vom Schaffner einer Spielzeugeisenbahn, hörte nichts anderes, bis ihn jemand anrempelte und er merkte, dass es sein eigenes, rhythmisches Wimmern war. Dieser Mann – der Mann mit dem Regenschirm – lebte nicht mehr. Leute kamen angelaufen, ein gutes Dutzend bellte in die Handys, der Busfahrer rannte Charlie fast über den Haufen, als er den Bürgersteig entlang zu dem Blutbad lief. Charlie taumelte ihm nach.
»Ich wollte ihn gerade fragen...«
Niemand beachtete Charlie. Seine ganze Willenskraft und aufmunternde Worte seiner Schwester waren nötig gewesen, damit er überhaupt wieder vor die Tür ging, und dann das...
»Ich wollte ihm gerade erklären, dass sein Schirm brennt«, sagte Charlie, als müsste er sich rechtfertigen. Aber niemand machte ihm einen Vorwurf. Sie hetzten an ihm vorbei, manche hin zur Leiche, andere weg davon, rempelten ihn an und sahen sich um, als hätte sie ein kalter Windhauch angeweht, oder ein Gespenst.
»Der Schirm«, sagte Charlie, auf der Suche nach dem Beweisstück. Dann fand er ihn, fast unten an der nächsten Ecke, im Rinnstein, immer noch rot glühend, flackernd wie eine defekte Neonröhre. »Da! Seht doch!« Aber die Leute standen im weiten Halbkreis um den toten Mann, hielten ihre Hände vor die Münder. Niemand beachtete den dürren, verschreckten Kerl, der hinter ihnen Unsinn von sich gab.
Charlie ließ die Menge hinter sich, wollte den Regenschirm aus der Nähe betrachten. Er blickte auf, vergewisserte sich, dass kein Bus kam, bevor er auf die Straße trat. Eben sah er wieder hin, als eine kleine, schwarze Hand aus dem Gully kam und sich den Schirm schnappte.
Charlie wich zurück, drehte sich um, suchte jemanden, der gesehen hatte, was er gesehen hatte, fand aber keinen. Niemand suchte auch nur Blickkontakt. Ein Polizist trabte vorbei, und Charlie hielt ihn am Ärmel fest, doch als der Mann sich umwandte, sah ihn dieser erst erstaunt und dann entgeistert an. Charlie ließ ihn los. »Verzeihung«, sagte er. »Tut mir leid. Ich sehe, Sie haben zu tun... Entschuldigen Sie.«
Der Cop schüttelte sich, dann drängte er durch die gaffende Menge zum toten William Creek.
Charlie rannte los, über die Columbus Avenue, die Vallejo rauf, bis sein Keuchen und Herzrasen den Lärm der Straße übertönten. Als er noch etwa einen Block von seinem Laden entfernt war, zog ein gigantischer Schatten über ihn hinweg wie ein Tiefflieger oder ein riesiger Vogel, und Charlie spürte, wie es ihm kalt über den Rücken lief. Er ließ den Kopf sinken, pumpte mit den Armen und nahm die Ecke an der Mason Street, als eben ein Cable Car vorüberfuhr, randvoll mit seligen Touristen, die glatt durch ihn hindurch sahen. Er blickte auf, ganz kurz nur, und meinte, hoch oben über der Straße etwas wahrzunehmen, das hinter dem Dach des sechsstöckigen Altbaus auf der anderen Straßenseite verschwand. Dann spurtete er durch die Ladentür in sein Geschäft.
»Hey, Boss«, sagte Lily. Sie war sechzehn, blass und birnenförmig, die frauliche Figur irgendwo zwischen Babyspeck und Kinderkriegen. Heute war ihr Haar lavendelfarben: Fiftys-Hausfrauenfrisur, farblich wie die Folie an einem Präsentkorb.
Charlie lehnte an der Tür, halb über eine Kiste gebeugt, sog mit rasselndem Atem die muffige Luft seines Trödelladens in sich hinein. »Ich – glaub – ich – hab – eben – jemanden – ermordet«, keuchte er.
»Ausgezeichnet«, sagte Lily und
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