Ein Totenhemd fur einen Erzbischof
bis sie alles zusammengesucht hatte. Zumindest glaube ich, daß das alles ist. Wir kamen gerade noch rechtzeitig, um den Verkauf von Ronans Habseligkeiten zu verhindern.»
Er legte die Gegenstände vorsichtig aufs Bett: einen Rosenkranz; ein nicht sehr aufwendig gearbeitetes, aber sicherlich recht wertvolles Kruzifix aus rotem irischen Gold; einen leeren crumena oder Geldbeutel; mehrere kleine Andenken an römische Heiligtümer; und zwei kleine Bücher, das Lukas- und das Matthäus-Evangelium.
Furius Licinius lachte empört.
«Die Miete eines Monats? Das hätte für drei Monate oder mehr in diesem Loch gereicht. Die aus dem crumena verschwundenen Münzen nicht mitgezählt.»
Fidelma untersuchte sorgsam die beiden griechischen Evangelien und blätterte Seite für Seite um, als erwartete sie, es könnte etwas herausfallen. Seufzend gab sie schließlich ihre Suche auf.
«Ihr habt nichts gefunden?» fragte Eadulf und schaute sich im Zimmer um.
Fidelma, die meinte, er spreche von den Evangelien, schüttelte den Kopf.
«Irgendwelche Geheimverstecke?»
Erst jetzt wurde Fidelma klar, daß er Bruder Ronans Zimmer meinte.
Furius Licinius lächelte nachsichtig. «Diese Möglichkeit hat decurion Marcus Narses schon ausgeschlossen.»
«Trotzdem», erwiderte Eadulf und klopfte mit dem Knöchel Wände und Boden auf mögliche Hohlräume ab.
« Decurion Marcus Narses hatte recht», sagte er zu Licinius. «Es scheint kein Geheimversteck zu geben, in dem Bruder Ronan die gestohlenen Gegenstände aus Wighards Schatztruhe hätte verbergen können.»
Fidelma sammelte Ronan Ragallachs Habseligkeiten zusammen und steckte sie zu den Kleidern in seinem sacculus.
«Wir nehmen Ronans sacculus in Gewahrsam. Furius Licinius, sagt seiner Zimmerwirtin, daß die ausstehende Miete aus dem Erlös von Ronans Eigentum beglichen werden kann, wenn wir unsere Untersuchungen abgeschlossen haben. Allerdings muß Diakon Bieda persönlich kommen, um seine Ansprüche geltend zu machen, und gleichzeitig eine Rechnung für das Zimmer vorlegen.»
Der junge tesserarius nickte lächelnd.
«Es sei, wie Ihr es sagt, Schwester.»
«Gut. Ich hatte gehofft, Bruder Sebbi und vielleicht auch Äbtissin Wulfrun und Schwester Eafa noch vor dem Abendessen befragen zu können. Doch ich fürchte, dazu ist es jetzt wohl zu spät.»
«Sollten wir nicht versuchen, mehr über diesen Ronan Ragallach herauszufinden?» meinte Eadulf. «Bisher haben wir uns vor allem mit Wighards Gefolge, aber kaum mit dem Mann befaßt, dem vorgeworfen wird, ihn getötet zu haben.»
«Da Ronan Ragallach aus seinem Gefängnis geflohen ist, wäre das wohl auch schlecht möglich», erwiderte Fidelma trocken.
«Mir geht es nicht darum, Ronan zu befragen», sagte Eadulf. «Ich dachte eher, es wäre an der Zeit, uns den Ort anzusehen, wo er gearbeitet hat, und mit den Leuten dort zu sprechen.»
Fidelma war klar, daß Eadulf vollkommen recht hatte. Diesen Gesichtspunkt hatte sie übersehen.
«Soweit ich weiß, bekleidete er eine untergeordnete Stellung im munera peregrinitatis – dem Amt für fremdländische Angelegenheiten», warf Licinius erklärend ein.
Fidelma machte sich im stillen Vorwürfe. Sie hätte Ronan Ragallachs Arbeitsplatz längst berücksichtigen müssen.
«Dann», sagte sie mit betont ruhiger Stimme, «sollten wir uns dieses Amt mal etwas genauer anschauen.»
In dem officium , das der superista ihnen zur Verfügung gestellt hatte, hielt Eadulf auf seinen Tontafeln die wichtigsten Punkte der Befragung von Abt Puttoc und Bruder Eanred fest. Bei ihrer Rückkehr in den Palast hatten sie erfahren, daß das munera peregrinitatis , in dem Ronan Ragallach als scriptor beschäftigt gewesen war, zur Zeit geschlossen war und der Vorsteher beim cena, dem Abendessen, weilte.
Zu ihrem Verdruß hörte Fidelma, daß man für sie im Refektorium des Palasts keine Abendmahlzeit vorgesehen hatte, und so wurde Furius Licinius ausgeschickt, um ihnen etwas zu essen und zu trinken zu besorgen, während Fidelma und Eadulf in ihr officium gingen. Fidelma verstaute die Sachen, die sie aus Ronans Zimmer mitgebracht hatte. Dann setzte sie sich und legte zwei kleine Gegenstände vor sich auf den Tisch, um sie voller Neugier zu betrachten: das Stück Sackleinen von dem Splitter an Eanreds Zimmertür und das abgerissene Stück Papyrus aus Ronans Kammer.
«Was sind das für Sachen?» wollte Eadulf wissen.
«Ich wünschte, ich könnte es Euch sagen», erwiderte Fidelma. «Wahrscheinlich haben
Weitere Kostenlose Bücher