Ein Totenhemd fur einen Erzbischof
mit bedrohlich sanfter Stimme.
Äbtissin Wulfrun funkelte sie zornig an. «Ihr wißt genau, daß ich damit Eure Befragung meinte. Ich weiß nichts über die ganze Sache.»
In dem Versuch, sie zu besänftigen, lächelte Eadulf freundlich und deutete auf einen leeren Stuhl.
«Wenn Ihr die Güte besitzen würdet, uns ein wenig von Eurer wertvollen Zeit zu schenken? Beantwortet uns nur ein paar kurze Fragen, damit wir Bischof Gelasius berichten können, daß wir seinen Auftrag ausgeführt haben.»
Angesichts dieser Unterwürfigkeit knirschte Fidelma mit den Zähnen, doch sie wußte, daß es klüger war, Eadulf die Befragung zu überlassen. Es konnte nur allzu leicht geschehen, daß sie in Gegenwart dieser anmaßenden Frau die Beherrschung verlor.
Die Äbtissin nahm Platz und zupfte mit der linken Hand an einem Zipfel ihrer Kopfbedeckung, die sie sich wie einen Schal um den Hals geschlungen hatte.
«Wann habt Ihr den Erzbischof zum letzten Mal lebend gesehen?» begann Eadulf.
«Gestern, gleich nach dem Abendessen. Wir haben einige Worte über die für heute vorgesehene Audienz beim Heiligen Vater gewechselt. Wir standen kaum länger als zehn Minuten zusammen an der Tür zum Refektorium. Anschließend habe ich mich sofort in mein Zimmer zurückgezogen. Schwester Eafa kam und half mir, mich für die Nachtruhe bereitzumachen, und ich habe mich früh schlafen gelegt. Erst beim Frühstück erfuhr ich dann von Wighards Tod.»
«An diesem Abend scheinen alle früh zu Bett gegangen zu sein», murmelte Fidelma. Ohne darauf zu achten, fragte Eadulf weiter: «Sind Eure Gemächer weit von denen Wighards entfernt?»
Die Äbtissin runzelte die Stirn. «Soweit ich im Bilde bin, sind wir auf dem Stockwerk unter den männlichen Mitgliedern unserer Gruppe untergebracht. Das müßtet Ihr doch selbst wissen, Bruder Eadulf.»
«Ich meine, liegen sie direkt unter Wighards Gemächern? Ich versuche nur festzustellen, ob Ihr etwas gehört haben könntet», erklärte er geduldig.
«Die Antwort auf beide Fragen lautet ‹nein›», entgegnete die Äbtissin ungehalten.
«Und was ist mit Schwester Eafa?»
«Sie hat das Zimmer gleich neben mir. Auf die Weise ist sie gleich zur Stelle, wenn ich sie brauche.»
«Ist Schwester Eafa Eure Dienerin?» erkundigte sich Fidelma mit scharfer Stimme.
Äbtissin Wulfrun funkelte sie wütend an. «Sie gehört zu meiner Klostergemeinschaft in Sheppey, ist meine Reisegefährtin und steht mir bei Bedarf hilfreich zur Seite.»
«Ah», stellte Fidelma betont unbefangen fest, «und haltet Ihr es im umgekehrten Fall ebenso?»
Eadulf versuchte, das Gespräch wieder an sich zu ziehen. «Ihr wurdet in der Nacht nicht gestört? Ihr habt nichts gehört und gesehen?»
Wulfrun wandte sich wieder an Eadulf. «Das habe ich schon gesagt», erwiderte sie knapp.
«Wie ich erfuhr, haben die custodes bei der Verhaftung von Bruder Ronan Ragallach einen solchen Lärm veranstaltet, daß Bruder Sebbi davon aufgewacht ist», bemerkte Fidelma. «Und doch habt Ihr nicht das geringste bemerkt?»
Äbtissin Wulfruns Wangen röteten sich. «Ein einfaches irisches Mädchen zieht meine Worte in Zweifel?» Sie erhob drohend die Stimme. «Wißt Ihr denn nicht, mit wem Ihr sprecht?»
Fidelmas grüne Augen blitzten gefährlich. «Ich spreche mit einer Schwester im Glauben, und wie es die Höflichkeit zwischen Gleichgestellten verlangt, erwarte ich eine Antwort auf meine Frage.»
Äbtissin Wulfruns Zorn wuchs mit jeder Sekunde. «Ich bin Wulfrun, die Tochter Annas, König der Ostangeln. Meine Schwester Seaxburgh ist die Gemahlin Eorcenbrehts und herrscht als Königin von Kent.»
«Ihr seid Äbtissin Wulfrun vom Kloster Sheppey», stellte Fidelma mit betont ruhiger Stimme richtig. «Als Ihr in den Orden eintratet, wurdet Ihr eins mit der Kirche und habt keinen Anspruch auf irgendeinen anderen Rang als den, den Euch die Kirche verliehen hat.»
Äbtissin Wulfrun richtete sich kerzengerade auf. Einen Augenblick lang ließ sie sogar den Stoffzipfel um ihren Hals los. Sie starrte Fidelma entgeistert an.
«Ihr wagt es, so mit mir zu sprechen?» Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. «Ich bin eine sächsische Prinzessin!»
«Was Ihr einmal wart, ist ohne Bedeutung. Was Ihr heute seid, ist wichtig: eine Dienerin Christi.»
Wulfruns Mund öffnete und schloß sich mehrere Male, ohne daß ein Laut zu hören war. Endlich stieß sie hervor: «Wie könnt Ihr es wagen! Ein fremdes Bauernmädchen! Ich bin eine Prinzessin von Kent. Ich
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