Ein Totenhemd fur einen Erzbischof
dreht Euch im Kreis, Eadulf. Laßt uns das Ganze doch einmal durchdenken.» Sie lehnte sich zurück. «Warum fühlt die Äbtissin sich so bedrängt, daß sie ihr Heil im Angriff sucht? Verhält sie sich immer so, oder weiß sie etwas, das sie zu diesem Gebaren zwingt?»
Eadulf musterte sie ratlos.
«Ich glaube», fuhr Fidelma nach einer Weile fort, «daß es vermutlich an ihrer Art liegt. Ich habe von ihrem Vater, diesem König Anna, gehört. Der frühere Anhänger Wotans hat sich zum wahren Glauben bekehren lassen. Soweit ich im Bilde bin, hatte Anna mehrere Töchter, die er in seiner Begeisterung allesamt zu Dienerinnen Christi machte. Wir wissen, was geschehen kann, wenn Väter ihren Töchtern einen Lebensweg aufzwingen, den sie freiwillig nie eingeschlagen hätten.»
«Aber Töchter haben kaum eine andere Wahl, als ihren Vätern zu gehorchen», erwiderte Eadulf. «Schreibt der heilige Paulus nicht: ‹Kinder, seid gehorsam euren Eltern in allen Dingen, auf daß ihr dem Herrn gefällig seid›?»
Fidelma lächelte nachsichtig. «Und schreibt Paulus nicht weiter: ‹Väter, erbittert eure Kinder nicht, auf daß sie nicht scheu werden›? Aber ich vergesse manchmal, daß wir aus zwei sehr unterschiedlichen Welten stammen. Bei den Sachsen scheint es Sitte zu sein, daß Väter ihre Töchter verkaufen wie Vieh.»
«Aber das Gesetz der Sachsen steht in größerer Übereinstimmung mit Paulus’ Lehre», sagte Eadulf, der aus Erfahrung wußte, welch gleichberechtigte Stellung die Frauen in Irland genossen. «Paulus schreibt: ‹Frauen, seid euren Männern Untertan, wie es gottgefällig ist. Denn der Mann ist des Weibes Haupt, gleichwie auch Christus das Haupt ist der Gemeinde …› Dieser Lehre folgen wir.»
«Ich ziehe die Sitte meines Heimatlandes vor, wo den Frauen zumindest eine gewisse Wahl zugebilligt wird», entgegnete Fidelma gereizt. «Wir brauchen Paulus nicht in all seinen Ansichten zu gehorchen, denn er war ein Mann seiner Kultur, die nicht meine Kultur ist. Außerdem stimmten nicht einmal alle Gläubigen in Paulus’ Umgebung mit seinen Lehren überein. Paulus setzte sich für den Zölibat aller Geistlichen ein und betrachtete alles Geschlechtliche als hinderlich für die höheren Ziele der Seele. Wer könnte das allen Ernstes glauben?»
Eadulf räusperte sich verlegen. «Aber es muß doch so sein. Schließlich war es die Ursache für Adams und Evas Sündenfall.»
«Wie kann die Geschlechtlichkeit Sünde sein, wenn die Fortpflanzung für das Überleben der Menschheit notwendig ist? Sollen wir glauben, daß Gott uns zum Untergang verdammte, indem er die Fortpflanzung zur Sünde machte? Und wenn es eine Sünde ist, warum hat er uns dann überhaupt die Mittel zur Fortpflanzung gegeben?»
«Paulus schrieb an die Korinther, die Ehe und die Zeugung von Nachkommen seien keine Sünde», hielt Eadulf dagegen.
«Nicht ohne jedoch hinzuzufügen, daß sie weniger heilbringend seien als der Zölibat. Ich glaube, daß Roms Forderung an seine Geistlichen, der geschlechtlichen Liebe zu entsagen, große Gefahren in sich birgt.»
«Es ist nicht mehr als ein Vorschlag», sagte Eadulf. «Seit dem Konzil von Nicäa bis zum heutigen Tag hat die römische Kirche ihren Geistlichen, die im Rang unter dem eines Abts oder Bischofs stehen, nur nahegelegt, ihren Ehefrauen nicht beizuwohnen oder möglichst gar nicht zu heiraten. Sie hat es ihnen nicht verboten.»
«Über kurz oder lang wird sie es ihnen verbieten», antwortete Fidelma. «Johannes Chrysostomus hat sich in Antiochia gegen jegliches Zusammenleben von männlichen und weiblichen Ordensleuten ausgesprochen.»
«Ihr glaubt also, daß der Zölibat ein Fehler ist?»
Fidelma verzog das Gesicht. «Sollen all jene, die im Zölibat leben wollen, dies auch tun. Aber alle dazu zu zwingen ist ganz gewiß ein Fehler. Wäre es nicht Blasphemie, zu behaupten, man könne Gott nur dienen, indem man eines der größten Wunder seiner Schöpfung ablehnt? Heißt es nicht in der Schöpfungsgeschichte: ‹Gott schuf sie als Mann und Weib und segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch …› Sollen wir das verleugnen?»
Ein zaghaftes Klopfen an der Tür ließ sie innehalten. Auf ihren Zuruf trat Schwester Eafa ein und blickte mit ängstlichem Blick von einem zum anderen.
«Da bin ich, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, warum Ihr mich gerufen habt», sagte sie und rang die schwieligen, sehnigen Hände.
Fidelma lächelte ihr aufmunternd zu und deutete auf
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