Ein Totenhemd fur einen Erzbischof
ergibt.»
Nach dem bescheidenen Abendessen, das Fidelma trotz des Nachmittagsschlafs sehr müde machte, schickten sie Furius Licinius aus, um Äbtissin Wulfrun oder Schwester Eafa zu holen. Während er fort war, saßen sich Fidelma und Eadulf eine Weile lang schweigend gegenüber. Fidelma ging in Gedanken noch einmal Bruder Osimos Aussage durch. Eigentlich war sie sich sicher, daß hinter Osimos Beziehung zu Ronan Ragallach mehr steckte als eine gute Zusammenarbeit im munera peregrinitatis – jedenfalls mehr, als er im Gespräch mit ihnen zugegeben hatte. Jedenfalls schien er Ronan Ragallach auch persönlich sehr gut zu kennen. Sie hätte schwören können, daß Ronan nach seiner Flucht bei Osimo Lando Hilfe gesucht hatte. Aber es war nur ein Gefühl, aus dem sie keine Schlüsse ziehen durfte.
Sie hörte Eadulf mit den Fingern auf den Tisch trommeln und sah ihn mißbilligend an.
«Woran denkt Ihr, Eadulf?» fragte sie, als das Trommeln unbeirrt weiterging.
Blinzelnd hielt Eadulf inne. Offenbar merkte er erst jetzt, daß er völlig in Gedanken versunken war.
«Ich habe an Osimo gedacht.»
Fidelma zog erstaunt die Augenbrauen hoch. «Genau wie ich. Und woran genau?»
«An die arabischen Wörter, die er uns übersetzt hat.»
Fidelma war enttäuscht.
«Ach, so», sagte sie achselzuckend. Insgeheim hatte sie wohl gehofft, Eadulf habe sich in Gedanken ebenfalls mit der Beziehung zwischen Osimo und Ronan befaßt. «Aber die haben ja wohl kaum irgendeine Bedeutung.»
Eadulf schüttelte den Kopf. «Vielleicht nicht. Vielleicht aber doch. Sie haben mich an etwas erinnert. Wie Ihr wißt, Fidelma, habe ich in Irland einige Jahre das Kollegium der Medizin in Tuaim Brecain besucht.»
«Was hat das mit den arabischen Wörtern zu tun?»
«Möglicherweise nicht das geringste. Bis auf die Tatsache, daß ich damals einiges über die Medizin erfahren habe.»
«Ich habe keine Ahnung, worauf Ihr hinauswollt, Eadulf.»
«Für den Fall, daß sie in Zukunft irgendwann einmal einen Sinn ergeben, habe ich mir die Wörter aufgeschrieben.»
«Und?»
«Zum Beispiel war das Wort ‹Bibliothek› darunter. Der Sachverhalt, um den es geht, ist vielleicht irgendwelchen Büchern entnommen. ‹Heilige Krankheit› waren zwei Wörter, die direkt nebeneinander standen. Die heilige Krankheit heißt ein Traktat von Hippokrates, in dem er den Unterschied zwischen sensorischen und motorischen Nerven beschreibt.»
«Ich fürchte, ich kann Euch nicht folgen, Eadulf.»
Eadulf lächelte nachsichtig. «Herophilus von Chalcedon, einer der großen Gründer der medizinischen Schule von Alexandria, hat einen Kommentar zu Hippokrates’ Werken verfaßt. Vielleicht gehörte die Endung ‹ophilus› zu seinem Namen. Es könnte sich also um irgendeine Botschaft aus Herophilus’ Kommentar zu dem Traktat Die heilige Krankheit handeln, der in der Bibliothek zu finden ist.»
Fidelma lehnte sich belustigt zurück.
«Eine wenig stichhaltige, aber dennoch überlegenswerte Idee, Eadulf. Möglicherweise habt Ihr recht. Aber im Augenblick hilft uns das nicht weiter.»
«Vielleicht kann es uns in Zukunft noch einmal nützlich sein», erwiderte Eadulf, offenbar zufrieden mit seiner scharfsinnigen Schlußfolgerung.
In dem Moment kam Furius Licinius zur Tür herein. Doch noch ehe er irgend etwas sagen konnte, wurde er zur Seite geschoben, und Äbtissin Wulfrun rauschte in das officium . Sie war auffallend groß, selbst größer als Fidelma, und hatte ein schmales, blasses Gesicht mit scharfen Zügen. Ihre Hakennase verlieh ihr einen Ausdruck der Überheblichkeit, die dünnen Lippen hatte sie verächtlich zusammengekniffen. Ihre hellen Augen funkelten vor Wut.
«Also?» fauchte sie ohne jede Einleitung. «Was soll der Unsinn?»
Fidelma öffnete den Mund; Eadulf, der das gefährliche Glitzern in ihren Augen sah, ergriff jedoch an ihrer Stelle rasch das Wort und erhob sich von seinem Platz.
«Das ist kein Unsinn, Mylady», sagte er in dem Versuch, Fidelma durch die Wahl der förmlichen Anrede daran zu erinnern, daß ihr die Schwester der Königin von Kent gegenüberstand. «Hat der tesserarius der custodes Euch nicht von dem Auftrag in Kenntnis gesetzt, den wir von Bischof Gelasius bekommen haben?»
Äbtissin Wulfrun blähte wütend die Nasenflügel. «Doch, aber ich wüßte nicht, was das Ganze mich angeht.»
«Es beschäftigt Euch nicht, daß der Mann, der in einer Woche zu Eurem Erzbischof geweiht werden sollte, ermordet worden ist?» fragte Fidelma
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