Ein Toter fuehrt Regie
der ihn abholte. Sein Haus, Lilo und die Kinder – alles nur Wunschträume eines Tramps? Hatte er eine Frau? War er Beamter? Wachte er gleich auf, und… Mannhardt schüttelte heftig den Kopf, um die Spinnweben zu zerreißen, die alles verschleierten. Passanten drehten sich nach ihm um.
Er starrte auf die Scharen der Schwäne und Enten herab. Ein Motorschiff, ganz Plexiglas, schluckte die unruhige Menge, die sich vor und auf dem Steg zusammendrängte. Der martialische Kahn der Wasserschützer dröhnte davon.
Wenn er weiter hier herumstand, drehte er tatsächlich noch durch. Also los – rein in die Telefonzelle gegenüber; Brockmüllers Nummer, Band A bis L…
Am Apparat war seine Frau; Annelie.
«Ja, guten Abend, Frau Brockmüller. Könnte ich mal Ihren Gatten sprechen?» Gatten! Wer sagt schon Gatten. Kann ich mal den werten Herrn Gatten…
«Ich muß mal sehen. Moment bitte.»
Wenn er nicht zu Hause war, brauchten sie nicht erst vor dem Haus auf ihn zu warten… Mußten die ‘ne Riesenwohnung haben! Das dauerte ja… War er womöglich schon unterwegs? Dann gute Nacht, Marie!
«Er kommt sofort.»
«Ja, danke.» Mensch! Wenn Brockmüller nun wirklich…
Brockmüller meldete sich, und er klang derart nervös, daß auch ein Schwerhöriger gemerkt hätte: Achtung, hier stimmt was nicht! So sprach ein Kind, das seinem Vater zwanzig Mark aus dem Portemonnaie geklaut und dann nach dem ersten Verhör in plötzlicher Panik den Schein unbemerkt unter den Aschenbecher geschoben hatte, um nun seine Unschuld zu beteuern – siehe Michael Mannhardt letzte Woche… Und das bei einem Vater bei der Polizei.
«… nein, Herr Mannhardt, tut mir leid, ich habe auch zu Hause nichts gefunden – bisher noch nicht…»
«Dann suchen Sie doch bitte weiter, Herr Brockmüller.» Das Doktor schenkte er sich. Hoffentlich blieb der Eierkopp so lange zu Hause, bis Olscha endlich auftauchte. «Wir hoffen immer noch auf Sie…» Scheiße, war wohl ‘n bißchen deutlich.
«Ich melde mich sofort, wenn…»
«Okay. Und Tschüs!» Aufgelegt und basta. Wenn der Gute wirklich getan hatte, was sich da abzuzeichnen schien, gebührte ihm der Titel Mörder des Jahres. Blieb nur die Frage: Warum? Ossianowski schien es gewußt zu haben.
Wenn nur dieser schwachsinnige Olscha… Da war er ja!
«Der Verkehr…» sagte er entschuldigend.
Mannhardt quetschte sich auf den Beifahrersitz. «Ab die Post! Ich hab eben angerufen – noch hockt er zu Hause. Aber wer weiß, wie lange.»
«Hat er was gefunden?»
«Nee. Kunststück…»
«Sie meinen also, er weiß zwar, wo Ossianowski die Aufzeichnungen versteckt hat, ist aber noch nicht dazu gekommen, sie aus dem Versteck zu holen?»
«Da gibt’s zwei Möglichkeiten», sagte Mannhardt mit einem Schuß Herablassung. «Entweder Brockmüller hat das Manuskript schon – oder er hat’s noch nicht. Immer vorausgesetzt, er hat die richtige Seite 16 gefunden und…» Er mußte gähnen. Kein Wunder. «… und… und…» Nun hatte er den Faden verloren.
Olscha dachte weiter. «Hat er es noch nicht, dann sollten wir warten, bis er es holt, uns also in der Nähe seiner Wohnung aufhalten… »
Ein kluger Kopf, dachte Mannhardt. Könnte direkt hinter der FAZ stecken.
«… hat er es aber schon, dann sollten wir uns mal bei ihm zu Hause umsehen.»
«Ja, natürlich.» Mannhardt wurde sarkastisch, ohne zu wissen warum: «Sicherlich hängen die entscheidenden Seiten schon eingerahmt bei ihm an der Wand!» Koch fehlte ihm. Lieber ein blöder und blödelnder Koch als ein schlauer und schlaumeiernder Olscha. Immerhin hatte Olscha entdeckt, daß Brockmüller möglicherweise in Kuhrings Wohnung einen Mordversuch vorbereitet hatte… War schon ein pfiffiges Bürschchen. Wenn Brockmüller tatsächlich dem Kuhring Gift unter die Vitamine gemischt hatte, würde Olscha zu Dr. Webers liebstem Jünger avancieren. Der Alte liebte solche Typen, insbesondere, wenn sie den richtigen Riecher hatten.
Na ja.
Sie hielten in der Conradstraße, von einem Lieferwagen verdeckt, Brockmüllers Hauseingang voll im Blickfeld.
«Ob er noch da ist?»
Mannhardt gab sich bissig. «Vielleicht ist es sein Zwillingsbruder, der da auf dem Balkon mit der lieben Annelie herumturnt.»
«Ah ja! Aber der gießt seine Geranien und sucht nicht in seinen Büchern herum. Das heißt also, er hat schon was gefunden.»
«Oder er hat’s aufgegeben.»
Olscha demonstrierte den neuen Typ des Beamten: risikofreudig und voller Tatendrang. «Ich bin ja
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