Ein Toter fuehrt Regie
versprech ich Ihnen!»
«Wenn man so was macht, da spielt doch vieles eine Rolle», sagte Brockmüller. Wenn der bloß erst weg wäre! Er raffte sich zu einem Gegenangriff auf: «Wenn ich nicht sofort erfahre, was in Owis Aufzeichnungen steht, sage ich kein Wort mehr!»
Mannhardt sah ihn an. «Mensch, das ist die einzige Chance, die Sie noch haben», sagte er mit Nachdruck. «Wenn Sie wüßten, wie tief Sie in der Tinte stecken, würden Sie reden wie ein Wasserfall.»
Mein Gott, was ist denn?
Brockmüller war schweißgebadet. Was hatte Owi da noch eingefädelt? Er begriff plötzlich, daß da etwas geschehen war, das seine Existenz bedrohte. Noch war alles verdeckt, aber wenn Mannhardt plötzlich den Vorhang zur Seite riß… Er sah eine Falltür, er sah sich in die Tiefe stürzen. Mannhardts Gesicht verschwamm plötzlich.
«Soll ich Ihnen ein Glas Wasser holen?»
«Nein, danke…» Brockmüller fing sich wieder. Er erwachte wie vorhin aus der Narkose. Er hatte das Gefühl, seine Gedanken, seine Assoziationen müßten wie feine Eisensplitter in einem chaotischen Durcheinander durch den Hohlraum seines Kopfes schwirren und jeden Augenblick die Schädeldecke durchstoßen, so daß er im wahrsten Sinne des Wortes außer sich zurückbleiben mußte. Ein Geisteskranker. Er stellte sich vor, daß sein Wille der große Magnet war, der die Eisenteilchen wieder einfangen und ordnen konnte.
Du darfst jetzt nicht durchdrehen!
«Mir fehlen noch die Punkte sieben, acht und neun», sagte Mannhardt unerbittlich.
Brockmüller stieß sie hervor; drei heftige Ausbrüche.
«Ich hab mal einen Vetter in die E UROMAG eingeschleust, obwohl ich wußte, daß er eine Niete ist… Ich habe Donnersmarck und den ganzen Vorstand als einen Haufen von Fachidioten und Fachisten beschimpft… Ich habe meine Frau mit Gaby, mit Fräulein Gross betrogen.»
Es war heraus. Gott sei Dank!
Aber Mannhardt klappte sein Notizbuch zu, ohne ein Wort geschrieben zu haben.
«Vielen Dank für Ihre Beichte, und wenn’s nach mir geht: te absolvo. Aber für mich haben Sie aus einem ganz anderen Grunde Ossianowskis Aufzeichnungen unterschlagen wollen – aus einem…»
«Das habe ich gar nicht.»
«… aus einem Grunde, der recht schwerwiegend ist. Ossianowski ist der Ansicht, daß Sie Kuhring ermordet haben – sozusagen die Gunst der Stunde nutzend.»
«Kuhring?» Brockmüller fühlte sich nicht im geringsten getroffen – das war zu lächerlich. «Das ist doch wohl ein Witz! Und warum, bitte schön? Das Motiv?»
Mannhardt blieb kühl. «Das Kind, das Ihre Frau da austrägt, das stammt von Kuhring.»
Brockmüllers Eisenteilchen durchstießen die Schädeldecke. Er begriff nicht viel, er begriff nur, daß dies sein Todesurteil war. Der Sturz in die Bewußtlosigkeit war die Erlösung, die er brauchte. Irgendwie nahm er noch wahr, wie ihm jemand eine Spritze in die Vene jagte.
Ich hab dir ja immer gesagt, daß Annelie und Kuhring …
Völliger black-out.
Als er wieder zu sich kam, mühselig und noch im Erwachen qualvoll gurgelnd wie ein Ertrinkender, waren, wie er nach mühsamem Entziffern seiner Armbanduhr erkannte, kaum vierzig Minuten vergangen.
Er war allein im Zimmer.
Wo war Mannhardt? Wo war Annelie? War das noch sein altes Zimmer, oder schon die Zelle?
Das Zimmer.
Du bist für sie ein Mörder und du bleibst für sie ein Mörder.
Jetzt begriff er. Das war Owis Rache; Owi mußte alles gewußt haben, alles ganz genau.
Er hatte sich mit Gaby eingelassen, damals nach der Betriebsfeier, und Annelie hatte alles erfahren. Vielleicht von Owi, wahrscheinlich von Owi. Annelie war dann, um sich zu revanchieren, mit Kuhring ins Bett gegangen, mit Kuhring, der ohnehin immer scharf auf sie war und mit einiger Wahrscheinlichkeit schon vor ihrer Verlobung mit Annelie geschlafen hatte. Es sprach eine Menge dafür, daß das Kind von Kuhring war.
Alexander, Anna-Lena… Aus!
Wenn Kuhring Anna-Lenas Vater war, gab es keinen, der ihn, den Dr. rer. pol. Bodo Brockmüller, nicht für Kuhrings Mörder hielt.
Ob Annelie ihn retten würde?
Und wenn. Was nutzte schon ihre subjektive Aussage, wenn der Vaterschaftsnachweis klipp und klar erbrachte, daß…
Owi hatte gesiegt.
Es war die Spritze, die Brockmüller darin hinderte, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen oder aus dem Fenster zu springen. Er verfiel wieder in den Zustand, in dem er sich als Objekt ansah, dessen Verhalten und dessen Gedanken von einem Schriftsteller aufgezeichnet wurden: Gottergeben lag
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