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Ein toter Lehrer / Roman

Ein toter Lehrer / Roman

Titel: Ein toter Lehrer / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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mit ihren Ermittlungen zu tun, streng genommen hatte sie hier nichts zu suchen. Der Arzt hätte ihr den Zutritt verweigern können. Die Eltern des Jungen könnten kommen und sie fortschicken, und ihr bliebe nichts weiter übrig, als zu gehen.
    Sie warf einen kurzen Blick über die Schulter. Die Tür war immer noch geschlossen, der Rest des Zimmers leer. Sie wusste nicht, wie genau man es in diesem Krankenhaus mit den Besuchszeiten nahm, aber sie setzte darauf, dass Elliots Eltern erst zu Beginn der regulären Zeit kommen würden.
    »Deine Wunden heilen schnell«, sagte Lucia. Wieder betrachtete sie seine Stiche. Sie versuchte, sie zu zählen. »Das hat sicher sehr weh getan, was sie mit dir gemacht haben.«
    Der Junge blätterte um.
    »Du bist sehr tapfer, Elliot.« Sie flüsterte diesen Satz fast, obwohl sie gar nicht leise sprechen wollte. Sie räusperte sich. »Du bist wirklich sehr tapfer.«
     
    Im Buchladen konnte sie es nicht finden.
    Ein Harry Potter aus Pappe verfolgte ihre Schritte, bedrohte sie mit dem Zauberstab und ließ sich auch durch einen bösen Blick nicht einschüchtern. Nachdem sie die Jugendbuchabteilung durchkämmt hatte, wechselte sie das Terrain. Sie schlängelte sich zu den Regalen mit allgemeiner Belletristik, aber auch dort hatte sie kein Glück.
    Der Laden war leer bis auf Lucia, den Pappkameraden mit den magischen Kräften und die Verkäuferin, die aussah, als sollte sie eigentlich in der Schule sein. Sie telefonierte, offenbar mit einem Freund, ihrem Freund. Lucia blieb einen Moment vor der Kasse stehen und tat, als interessiere sie sich für die Moleskine-Notizbücher, die davor aufgestapelt waren. Schließlich stützte sie die Ellbogen auf den Ladentisch und lächelte das Mädchen an.
    »Hallo«, sagte sie.
    Die Kassiererin drehte sich weg und murmelte etwas ins Telefon. Dann wandte sie sich wieder zu Lucia, den Hörer zwischen Kinn und Schulter geklemmt. »Hallo«, erwiderte sie. Lucia wusste nicht genau, ob sie die Augenbrauen hochzog oder ob sie so gezupft und gefärbt waren.
    »Ich suche ein Jugendbuch«, begann Lucia und nannte dem Mädchen das wenige, was sie zwischen Elliots Fingern erkannt hatte.
    Stirnrunzelnd sah das Mädchen auf den Computerbildschirm. Während ihre Nägel auf den Tasten klapperten, sprach sie weiter ins Telefon. Lucia erfuhr, dass irgendwo eine Party steigen würde. Irgendwer, der eigentlich hingehen sollte, ging nicht hin, und irgendwer, der nicht hingehen sollte, ging doch hin.
    »Lloyd Alexander«, sagte das Mädchen nach einer Weile. »Schauen Sie mal bei den Jugendbuchklassikern. Nein, nicht du«, sagte sie in den Hörer, sah Lucia an und deutete mit dem Kinn in den hinteren Teil des Ladens.
    Es war Fantasy. Wirklichkeitsflucht. Nicht unbedingt ein Genre, in dem sich Lucia auskannte, aber sie konnte sich vorstellen, welche Anziehungskraft es auf einen Jungen ausüben musste, dem die Realität keinerlei Zuflucht bot. Die Erstausgabe von
Das Buch der Drei
war erschienen, als Lucia noch nicht einmal geboren war. Selbst die Ausgabe, die sie jetzt in Händen hielt, hatte einen gräulich gelben Schnitt, verfärbt wie Raucherfinger. Sie stellte das Buch zurück und ließ den Blick über die Regale schweifen. Dabei entdeckte sie die Namen von Autoren, die sie einst verehrt, aber schon vor langer Zeit vergessen hatte. Byars, Blume, Blyton. Milne, Montgomery, Murphy. Doch die Bücher, die sie gelesen hatte, würden ihn nicht interessieren. Sie kam zum Ende des Klassiker-Regals und wollte schon wieder gehen, aber bevor sie sich umdrehen konnte, sprang ihr ein Titel ins Auge. Mit dem Zeigefinger hebelte sie das Buch heraus. Obwohl der Umschlag neu gestaltet war, kannte sie das Bild darauf. Lächelnd blätterte Lucia das Buch von hinten her durch und hielt ab und zu inne, um einen Satz, einen Teil eines Dialogs oder eine Kapitelüberschrift zu lesen. Dann ging sie damit zur Kasse.
     
    Lucia hatte sich eine Retourkutsche überlegt, aber Walter war nicht an seinem Platz. Das Department war so gut wie leer.
    Lucia steckte den Kopf zur Tür des Chief Inspector hinein. »Wo sind die denn alle?«, fragte sie.
    »Er ist vor Gericht«, antwortete Cole. Er bohrte einen Zeigefinger in seine Oberlippe und blickte finster in einen Spiegel, der nahezu flach auf seinem Schreibtisch lag.
    »Wer? Was?«
    »Nun, Ihr Verlobter. Er sagt vor Gericht aus.« Der Chief Inspector musterte Lucia kurz, bevor er sich wieder sich selbst widmete. »Was hat der Kleine gesagt?«
    Er wollte,

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