Ein toter Lehrer / Roman
hier auf gar keinen Fall.
Und er selbst stand sich auch eher im Weg. Samuel, meine ich. Mit seinem dünnen, ungepflegten Bart, dem strähnigen Haar und den beiden Anzügen, die er abwechselnd trug. Immer war ein Schnürsenkel offen, oder an seinem Hemd fehlte irgendwo ein Knopf, oder es war schief geknöpft. Ich weiß, ich weiß, man sollte nicht so viel auf Äußerlichkeiten geben. Aber sie sind ja doch wichtig, nicht wahr? Jeder weiß das.
Er war zurückhaltend, reserviert. Er antwortete; er stellte nie Fragen. Ich sage, er antwortete, aber nicht so, wie Sie oder ich antworten würden. Wenn ihn jemand fragte, wie geht’s?, sagte er: Danke, gut. Mehr nicht. Hallo Samuel, was machst du gerade? Ich lese, antwortete er dann, ohne von seinem Buch aufzusehen. Er war nicht direkt unhöflich, aber die anderen mochten das nicht. Sie hielten ihn für arrogant. Unnahbar. Veronica Staples, die Frau, die gestorben ist – die er umgebracht hat –, die hat mal zu mir gesagt, er wäre wie ein Oxford-Dozent auf einem Kindergeburtstag, und das traf es haargenau.
Ich war mit Veronica befreundet, Detective. Gut befreundet. Sie hatte Kinder, wissen Sie. Zwei Töchter. Eine von ihnen ist auch Lehrerin: Beatrice. Sie studiert auf Lehramt. Was müssen sie jetzt denken? Wie sie sich wohl fühlen?
Nein, vielen Dank. Ich hab eins in der Tasche. Alles in Ordnung, wirklich. Ich bin bloß …, ich weiß auch nicht. Alles in Ordnung. Mir geht’s gut.
Wo war ich stehengeblieben?
Samuel, genau. Er war das, was man einen Außenseiter nennen würde. Von Anfang an. Es war einfacher, ihn zu ignorieren, als sich mit ihm auseinanderzusetzen. Es war einfacher, über TJs kleine Streiche zu lachen, als ein Spielverderber zu sein und ihn zu verteidigen. Er und TJ , die beiden sind zu Trimesterbeginn mal aneinandergeraten. Samuel hat irgendwas gesagt, das TJ wütend gemacht hat, ich weiß zwar nicht genau, was vorgefallen ist, aber es sah aus wie so eine typische Männerrangelei. Doch für TJ stand seitdem mehr oder weniger fest, dass Samuel sein Todfeind war, an dem er sich durch viele kleine Demütigungen rächen würde. Erbärmlich, ich weiß, aber im Grunde harmlos. TJ ist ein unreifer Bengel, weiter nichts. Er benimmt sich wie die Kids. Er ist immer mit ihnen draußen, spielt Fußball und Basketball mit ihnen. Sie nennen ihn TJ , nicht Mr. Jones, und der Direktor duldet es, weil TJ die Kids im Griff hat. Ruhe und Ordnung: Der Direktor fordert Ruhe und Ordnung, und TJ ist einer der wenigen Lehrer an dieser Schule, die dafür zu sorgen wissen.
Als Erstes hat TJ also zu Samuel gesagt, er solle am Freitag in Jeans zur Schule kommen. Er meinte, es gebe auch bei uns so eine Art »Casual Friday« und alle Lehrer kämen in Jeans. Zu dem Zeitpunkt hatte Samuel noch keinen Verdacht geschöpft, dass TJ ihn auf dem Kieker hat. Das heißt, vielleicht hatte er Verdacht geschöpft, aber er war ja immer noch der Neue. Er musste noch auf das hören, was TJ ihm sagte. Samuel kam also in Jeans, und der Direktor hat ihn sofort wieder nach Hause geschickt zum Umziehen – er hat ihn weggeschickt wie einen dummen Jungen, weil Lehrer in dieser Schule keine Jeans zu tragen haben, oh nein, wo kämen wir denn da hin –, und der Direktor musste Samuels Vormittagsstunden selbst übernehmen. Und das hasst er, besonders in einem Fach wie Geschichte. Als Nächstes hat TJ Samuel eine Notiz mit der Unterschrift vom Direktor ins Fach gelegt, auf der stand, sein Unterricht sei in einen anderen Raum auf einer anderen Etage verlegt worden. Während Samuel oben auf dem Dachboden wartete – so nennen wir die Räume ganz oben, den Dachboden –, während er also auf seine Klasse wartete, waren die Kids da, wo sie sein sollten, und haben gebrüllt, gelacht und sich wahrscheinlich mit Stühlen beworfen, bis einer eine blutige Lippe hatte und zu schreien begann. Der Direktor hat das alles gehört, ist in den Raum gestürmt und hat sie angebrüllt, sie sollen still sein, Ruhe und Ordnung bewahren. Und natürlich hat er Samuel die Schuld gegeben und gedacht, er wäre unpünktlich, und Samuel hat später keinen Ton gesagt, weil er mittlerweile kapiert hatte, was gespielt wurde, und schlau genug war, nicht zu petzen und lieber den Mund zu halten.
Es gab noch andere Sachen. Alles alberner Kinderkram, wie das eine Mal, als TJ seinen Kaffee in Samuels Schoß schwappen ließ – regelrecht kippte –, kurz vor Samuels Unterricht in der Zwölften. Oder als er Samuel ein großes A
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