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Ein toter Lehrer / Roman

Ein toter Lehrer / Roman

Titel: Ein toter Lehrer / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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wieder zum Reden bringt.«
    »So ist es«, erwiderte der Arzt, ohne die Miene zu verziehen.
    »Aber dem war nicht so.«
    »Nein.«
    Lucia nickte. Sie lehnte den Oberkörper leicht nach hinten und sah noch einmal durch die Scheibe. Sie konnte den Jungen immer noch nirgends entdecken. »Ich würde gern zu ihm reingehen.«
    »Er wird nicht …«
    »Mit mir sprechen, ich weiß. Aber ich würde trotzdem gern zu ihm reingehen.«
    Der Arzt war groß, dunkelhaarig und sah eigenartig aus. Wenn er den Kiefer anspannte, traten direkt unter seinen Ohren zwei spitze Beulen auf den Wangen hervor, als versuchte er, einen quer liegenden Schraubenzieher zu schlucken.
    »Bitte beeilen Sie sich.«
    »Ja, Doktor.«
    »Und denken Sie daran, was er hinter sich hat.«
    »Ja, Doktor.«
    »Er befindet sich in der Genesungsphase. Er braucht jetzt Ruhe.«
    »Das verstehe ich.«
    Der Arzt hielt die Tür auf und ließ Lucia hindurchschlüpfen. Sie betrat den Raum und horchte auf das Geräusch der sich schließenden Tür. Als es ausblieb, drehte sie sich um, dankte dem Arzt und wartete, bis er sich zurückgezogen hatte.
    Zuerst dachte sie, sie wäre allein im Zimmer. Vier Betten standen darin, alle leer. Aber in dem vierten Bett ganz hinten in der Ecke hatte jemand gelegen. Der Sichtschutzvorhang war halb zurückgezogen, und auf dem Nachttisch standen ein Glas und ein Wasserkrug. Das Glas war leer, der Krug voll.
    »Elliot?«
    Lucia versuchte, leise aufzutreten, aber ihre Schuhsohlen klackerten auf dem Vinylbelag.
    »Elliot, mein Name ist Lucia. Lucia May. Ich bin Polizistin.«
    Sie ging zum Fußende des ungemachten Bettes und blieb stehen. Sie sah einen Kopf, auf gleicher Höhe mit der Matratze. Eigentlich sah sie eher Haare. Kurze, blonde Haare, fast rötlich. Sie waren so ähnlich wie ihre eigenen, bloß etwas heller und nicht ganz so offensichtlich rot, vielleicht aber auch nur, weil sie so kurz waren.
    Als Lucia noch einen Schritt weiter ging, sah sie den Jungen ganz. Er saß auf dem Boden und lehnte an der Wand hinter dem Bett. Bevor Lucia irgendetwas anderes an ihm auffiel, bemerkte sie Elliots Muttermal. Es bedeckte die linke Gesichtshälfte, die Lucia zugewandte Seite, und reichte vom Ohr bis zum Mundwinkel. Es sah aus, als hätte man Elliot geohrfeigt – heftig und mehr als ein Mal – oder gegen etwas Heißes gedrückt.
    Dann sah sie die Stiche – eine gezackte Linie, die zwischen den Augenbrauen begann, über die Nase und bis hinab zum Kiefer lief. Der Arzt hatte ihr gesagt, auch Elliots rechtes Ohr sei in Mitleidenschaft gezogen worden, aber von ihrem Standpunkt aus konnte sie die Wunde nicht sehen. Es sei zerrissen worden, hatte der Arzt gesagt. Zerbissen vielleicht.
    Sie suchte Elliots Blick, doch der hing wie gefesselt an einem Buch, das auf den Knien seiner angewinkelten Beine lag. »Elliot?«, fragte sie noch einmal. Man hatte sie gewarnt, dass er nicht antworten würde, aber sie hoffte trotzdem, er würde es tun.
    »Was liest du da?«, fragte sie, und als der Junge wieder nicht antwortete, ging sie ein Stück vor und beugte sich zu ihm hinab, um den Titel auf dem Umschlag lesen zu können. Aber der Junge verdeckte die Schrift mit Zeige- und Mittelfinger, und Lucia fiel auf, dass er sie gekreuzt hielt, als wünschte er sich beim Lesen, dass die Geschichte gut ausgeht.
    Elliot blätterte um. Dabei musste er die Finger kurz wegnehmen, und Lucia erhaschte einen Namen und ein Bruchstück des Titels:
Das Buch der
irgendwas von Sowieso Alexander.
    »Darf ich? Stört es dich, wenn ich mich setze?« Sie ließ sich auf der Bettkante nieder, das Gesicht zur Wand. »Dr. Stein sagt, es geht dir schon viel besser. Er meint, du kannst bald nach Hause.«
    Der Junge blätterte wieder um. Lucia beobachtete seine Augen. Sein Blick wanderte von einer Seite zur nächsten und setzte sich irgendwo dazwischen fest. Einen Moment lang schwieg sie. Sie sah auf ihre Füße, dann hinter sich und wieder zu dem Jungen. Er blätterte erneut um.
    »Ist es gut? Dein Buch, meine ich. Worum geht es?«
    Stückchen für Stückchen, als hoffte er, sie würde die langsame Bewegung nicht bemerken, ließ er das Buch von den Knien rutschen, bis es, an seine Oberschenkel gelehnt, in seinem Schoß verborgen war. Sein Blick wich nicht von den Seiten.
    »Du musst nicht mit mir reden«, sagte Lucia. »Ich wollte dich nur mal besuchen. Sehen, wie es dir geht.« In diesem Moment bemerkte sie erstaunt, dass es die Wahrheit war. Was dem Jungen zugestoßen war, hatte nichts

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