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Ein toter Lehrer / Roman

Ein toter Lehrer / Roman

Titel: Ein toter Lehrer / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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dass sie ihn fragt, woher er von ihrem Besuch bei Elliot wusste, und sie wollte ihn auch fragen, aber stattdessen sah sie zu, wie er sich den Finger in die Oberlippe drückte und zusammenzuckte. Sie ging zu ihm hinein. Die Neugier musste ihr im Gesicht geschrieben stehen.
    »Einer der Polizisten hat Sie gesehen«, sagte Cole. »Im Krankenhaus. Also, was hat er gesagt?«
    »Nichts. Er redet nicht.«
    Cole murrte. »Sie wissen, dass es keine Rolle spielt, oder? Sie wissen, dass es nichts mit diesem Fall zu tun hat.«
    »Es gibt eine Verbindung.«
    »Nein, es gibt keine Verbindung.«
    »Natürlich gibt es eine. Zwischen allem besteht eine Verbindung.«
    »Zwischen allem besteht eine Verbindung? Sie haben noch bis Montag Zeit, Lucia. Denken Sie daran, nur noch bis Montag.«
    Lucia sah auf die Uhr. »Haben Sie Price gesehen?«
    »Price? Was wollen Sie denn von Price?«
    »Nichts. Ich meine, es ist nichts. Nichts Wichtiges.«
    »Ich hab ihn jedenfalls nicht gesehen.«
    »Schon gut.« Lucia war bereits im Gehen.
    »Es gibt keine Verbindung, Lucia.«
    Sie ging hinaus.
     
    Price rauchte. Lucia stand dichter neben ihm als nötig.
    »Feines Wetterchen, was?« Sie waren im Dachgeschoss, auf der Terrasse hinter der Kantine. Es hieß Terrasse, dabei war es eigentlich nur ein Balkon mit einer Bank und einem überquellenden Aschenbecher darauf. Price deutete zum Himmel, in das gnadenlose Blau. »Achtunddreißig Grad sollen es am Wochenende werden.« Er hustete geräuschvoll und zog an seiner Zigarette. »Du hast Glück, dass du keine Uniform mehr tragen musst. Diese Hosen lassen kein bisschen Luft durch. Fühlen sich an wie aus Gummi.«
    Lucia besah sich ihre eigene Kleidung: dunkle Hose, weiße Bluse. Der einzige Unterschied zwischen Price’ Sachen und ihren war der, dass sie ihre selbst bezahlen musste.
    »Was weißt du über den kleinen Samson?«, fragte Lucia. »Elliot Samson.«
    Price zog die Stirn in Falten und blies einen Schwall Rauch aus den Nasenlöchern. »Mein Gott, Lucia. Es ist so ein schöner Tag. Die Sonne scheint. Warum musst du jetzt damit anfangen?«
    Lucia sah zu, wie Price seine Zigarette an der Mauer ausdrückte, den Aschenbecher neben sich ignorierte und den Stummel Richtung Skyline schnippte.
    »Hat er mit dir gesprochen?«, fragte sie. »Hat er irgendwas gesagt?«
    Price schüttelte den Kopf. »Konnte er nicht. So zerfleischt, wie sein Gesicht war.«
    »Er war bei Bewusstsein?«
    »Jep. Bis zu dem Moment, als der Krankenwagen gekommen ist und ihn eingeladen hat. Vielleicht sogar noch ein bisschen länger. Er hat jeden Hieb, jeden Schnitt und jeden Biss mitbekommen.«
    »Und wer war es? Weißt du das?«
    »Klar weiß ich’s. Und so wie’s aussieht, wissen es eine ganze Menge Leute.«
    »Und?«
    »Und was? Der Kleine macht den Mund nicht auf. Keiner will was gesehen haben. Und die Schule kümmert es anscheinend nicht.« Price nahm noch eine Zigarette aus der Schachtel in seiner Hemdtasche. »Dieselbe Schule, stimmt’s?«
    Lucia sah hinab auf den Verkehr. Ein Lieferwagen hatte neben einem Taxi gehalten, das in die entgegengesetzte Richtung gefahren war. Die Fahrer lehnten sich aus den Fenstern, fuchtelten mit den Armen, gestikulierten hektisch und ignorierten die hupenden Autos, die hinter ihnen feststeckten. »Entschuldige bitte, was hast du gesagt?«
    »Dieselbe Schule. Der Amoklauf. Die Lehrer. Es ist dieselbe Schule, stimmt’s?«
    »Ja, dieselbe Schule«, erwiderte Lucia.

O b ich ihn geliebt habe? Was für eine Frage.
    Wie könnte ich sagen, ich hätte ihn geliebt, nach dem, was er getan hat? Wie könnte ich es mir selbst eingestehen? Ich sage mir jetzt, dass ich ihn nie geliebt habe, und ich hoffe inständig, dass es wahr ist. Denn sonst würde ich mich miserabel fühlen, Detective. Der bloße Gedanke an ihn, an das, was er getan hat – dabei will ich mich miserabel fühlen.
    Ich mochte ihn. So viel kann ich zugeben. Er tat mir leid. Ich dachte, er verdiene Mitleid, falls Sie das glauben können.
    Er hat sich hier nie richtig eingelebt. Er passte einfach nicht hierher. Der Direktor mochte ihn nicht und TJ auch nicht, und weil die beiden ihn nicht mochten, waren auch die anderen kaum mehr als höflich zu ihm. Warum sollten sie auch? TJ kann wirklich anstrengend sein, wenn er das Gefühl hat, man steht nicht auf seiner Seite – bei ihm dreht sich alles nur um Seiten –, und man will ja auch den Direktor nicht verärgern, nicht an dieser Schule. Wahrscheinlich an keiner Schule, aber an dieser

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