Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein toter Lehrer / Roman

Ein toter Lehrer / Roman

Titel: Ein toter Lehrer / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
Vom Netzwerk:
die herrschsüchtigen Ziegen.
    Oh.
    Nichts gegen Sie.
    Na jedenfalls, wir waren halb durch den Gang durch und konnten schon zur Tür in die Aula gucken und sahen, dass da Leute drin waren, vor allem Bullen und so, und wir haben sie nicht kommen sehen. Sie war bestimmt in einem von den Klassenzimmern. Sie hat uns vorbeigehen sehen und konnte sich bestimmt denken, was wir vorhatten und wo wir hinwollten, und sie hat gar nicht erst rumgeschnauzt, sondern ist einfach hinter uns aufgetaucht und hat uns gepackt. Banks hat noch gebrüllt, verpiss dich, aber wir hatten eigentlich keine Chance, ich meine, was hätten wir denn tun können? Und sie hat uns den Flur zurück und in die Eingangshalle geführt, und dann zur Tür raus und an Bickle vorbei, der hat uns bloß wütend angestiert. Am Tor hat sie uns dann einen Schubs gegeben.
    Banks hat danach versucht, wieder reinzukommen, aber ich bin ziemlich sicher, er hat’s nicht geschafft. Als wir rauskamen, war überall Absperrband, es waren noch mehr Bullen und Fernsehkameras da, und alles Mögliche wurde organisiert. Die Lehrer haben Namen aufgerufen, die Kids der Reihe nach antreten lassen und so Sachen. Ich stand allein abseits. Dann hab ich mich auf den Bordstein gesetzt. Und dann, keine Ahnung. Dann hab ich bloß zugeguckt, wie alle anderen auch.
    Das war’s so weit, glaub ich. Ich hab Ihnen ja gesagt, ich weiß eigentlich gar nichts. Ich war ja nicht mal da, als es passiert ist.

D iesmal ging sie dort los, wo er losgegangen war.
    Nichts in dem Raum ließ die Gewalt vorausahnen, die von hier ihren Ausgang genommen hatte. Am Kleiderständer hingen ein paar Jacken, aber nicht viele, und auf einem Bügel ein Mantel, sicher ein Überbleibsel des Winters. Ansonsten nur leichte, billige Jacken. Bei einer war ein Ärmel nach außen gekrempelt. Auf dem Tisch standen Kaffeebecher, der ganz vorn war ausgetrunken, die restlichen noch halbvoll, mit geronnener Milch auf der Oberfläche. Auf der Armlehne von einem der Sessel lag eine offene Packung Kekse, auf den restlichen Krümel. Die Sessel selbst waren schmuddelig und stellenweise aufgerissen, sie sahen bequem aus.
    Lucia May ging von der Sitzecke zur Kochnische. Sie öffnete die Tür der Mikrowelle und schloss das, was sie dahinter fand, gleich wieder ein. Der Geruch – süß und künstlich, dachte sie, kalorienreduziert – stieg ihr trotzdem in die Nase. Auf der Arbeitsplatte lag ein gelbes Clipper-Feuerzeug, daneben ein Päckchen Marlboro. Sie sah nicht direkt hin. Der Schrank neben dem Spülbecken diente behelfsmäßig als Schwarzes Brett. Neben einem fein säuberlich aus der Zeitung ausgeschnittenen Garfield-Comicstrip über schreckliche Montage war ein Aufkleber, »Händewaschen nicht vergessen«. Ein handschriftlicher Zettel erinnerte die Leute daran, doch bitte ihre Tassen auszuspülen. Das Wort »Leute« war unterstrichen, ebenso wie »Tassen«. Im Spülbecken gammelten vier Kaffeebecher vor sich hin. Das Becken roch nach Abwasser.
    Er musste diesen Raum allein verlassen haben. Gewartet haben, bis alle anderen weg waren.
    Lucia ging zurück zu den Sesseln und dann zur Tür hinaus in den Flur. An der Wand gegenüber befand sich das offizielle Schwarze Brett, halb so groß wie ein Billardtisch und fast in demselben Grün. Daran hingen Verhaltensregeln für Feueralarm, Anweisungen für medizinische Notfälle, Versammlungspläne und Pausenzeitenregelungen. Weiter nichts. Die Bekanntmachungen waren mit farblich jeweils passenden Reißzwecken befestigt, an einer nur rote, an der nächsten nur gelbe, immer vier Stück pro Blatt. Lucia verspürte einen Drang, die Reißzwecken zu vertauschen, eine Bekanntmachung abzunehmen und sie weniger streng und reglementiert wieder aufzuhängen.
    Sie ging nach links durch den Flur und dann die kleine Treppe hinab in die Eingangshalle. Dort blieb sie stehen und überlegte, ob er wohl dasselbe getan hatte. Sie blickte nach rechts, zur Kantine, und anschließend in die andere Richtung zu den Eingangstüren. Durch die Scheibe sah sie zwei Polizisten, dahinter den Schulhof und dahinter die Straße. Die beiden beobachteten sie, die Arme verschränkt und die Augen verdunkelt vom Schirm ihrer Helme.
    Auf dem Boden war Blut. Sie hatte gewusst, dass es da war, und es eigentlich ignorieren wollen, weil es danach geflossen war, währenddessen, nicht vorher. Aber nun sah sie trotzdem hin. Das Mädchen, dessen Blut es war, hatte noch gelebt. Es war ihr den Arm hinabgelaufen bis zur Hand und von den

Weitere Kostenlose Bücher