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Ein Toter zu wenig

Ein Toter zu wenig

Titel: Ein Toter zu wenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Leigh Sayers
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Mordes verdächtigt, und dabei auch noch einen großen Scheck für eine gute Sache von ihm anzunehmen, so etwas bringt nur der abgebrühteste Geheimagent über sich. Lord Peter versuchte Zeit zu gewinnen.
    »Das ist ungeheuer nett von Ihnen«, sagte er. »Die Leute werden sich bestimmt maßlos freuen. Aber den Scheck geben Sie bitte lieber nicht mir. Ich würde ihn womöglich ausgeben oder verlieren. Leider bin ich da nicht sehr verläßlich. Der Vikar wäre die richtige Adresse - Hochwürden Constantine Throgmorton, Vikariat St. John-before-the-Latin-Gate, Duke's Denver - wenn Sie ihn dahin schicken könnten.«
    »Wird gemacht«, sagte Mr. Milligan. »Stellen Sie gleich einen Scheck über tausend Pfund aus, Scoot, damit ich es später nicht vergesse.«
    Der Sekretär, ein rötlichblonder junger Mann mit langem Kinn und unsichtbaren Augenbrauen, gehorchte schweigend. Lord Peter blickte von Mr. Milligans Kahlschädel zum Rotschopf des Sekretärs, verhärtete sein Herz und nahm einen neun Anlauf. »Also, ich bin Ihnen unendlich dankbar, Mr. Milligan, und meiner Mutter wird es nicht anders gehen, wenn sie das erfährt. Ich werde Sie wissen lassen, wann der Basar stattfindet - der Termin steht noch nicht fest, und ich muß auch noch ein paar andere Geschäftsleute aufsuchen, nicht wahr? Ich hatte daran gedacht, jemanden aus einem der großen Zeitungskonzerne zu bitten, als Vertreter der britischen Werbewirtschaft aufzutreten - und ein Freund von mir hat mir einen führenden deutschen Finanzier versprochen - sehr interessant, falls da draußen auf dem Lande keine allzu großen Widerstände dagegen bestehen, und dann möchte ich noch jemanden finden, der die jüdische Seite vertritt. Eigentlich hatte ich Levy ansprechen wollen, aber der ist ja nun auf so ungelegene Weise verschwunden.«
    »Ja«, sagte Mr. Milligan, »das ist eine merkwürdige Geschichte, obwohl ich gern zugebe, Lord Peter, daß sie  mir  ziemlich gelegen kommt. Er hatte meinen Eisenbahnkonzern in der Zange, aber ich hatte nie etwas gegen ihn persönlich, und wenn er wieder auftaucht,  nachdem  ich ein gewisses Geschäft abgeschlossen habe, werde ich ihm gern die Hand zum Willkommensgruß entgegenstrecken.«
    Im Geiste stellte Lord Peter sich vor, wie Sir Reuben irgendwo gefangengehalten wurde, bis eine bestimmte finanzielle Krise überwunden war. Das war ausgesprochen gut möglich und viel erfreulicher als seine erste Mutmaßung; und es paßte auch besser zu dem Bild, das er sich inzwischen von Mr. Milligan gemacht hatte. »Hm, ja, das ist schon eine dumme Geschichte«, sagte er. »Aber er wird wohl seine Gründe haben. Man sollte die Leute lieber nicht nach ihren Gründen fragen, wie? Zumal ein Freund von mir, der bei der Polizei ist und mit dem Fall zu tun hat, sagt, der alte Knabe habe sich, bevor er wegging, die Haare gefärbt.«
    Aus dem äußersten Augenwinkel beobachtete Lord Peter, wie der rothaarige Sekretär fünf Zahlenreihen gleichzeitig addierte und die Ergebnisse niederschrieb.
    »Die Haare gefärbt?« fragte Mr. Milligan.
    »Ja, rot«, antwortete Lord Peter.
    Der Sekretär sah auf.
    »Komisch ist nur«, fuhr Lord Peter fort, »daß man das Farbfläschchen nicht findet. Irgend etwas ist da faul.«
    Das Interesse des Sekretärs schien verflogen zu sein. Er legte ein neues Blatt in seinen Hefter ein und übertrug eine Reihe Ziffern von der vorigen Seite.
    »Ich glaube ja, es steckt nichts weiter dahinter«, sagte Lord Peter, indem er aufstand, um zu gehen. »Es war jedenfalls ungemein liebenswürdig von Ihnen, sich mit mir abzugeben, Mr. Milligan, und meine Mutter wird sich riesig freuen. Sie wird Ihnen den Termin schriftlich mitteilen.«
    »Die Freude ist ganz auf meiner Seite«, antwortete Mr. Milligan. »Es war schön, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
    Mr. Scoot erhob sich stumm, um ihm die Tür zu öffnen; dabei kam ein Paar Beine von beträchtlicher Länge zum Vorschein, von denen man, solange er hinter dem Schreibtisch saß, nichts gesehen hatte. Mit einem innerlichen Seufzer schätzte Lord Peter den Mann auf über einsneunzig. »Schade, daß ich Scoots Kopf nicht auf Milligans Schultern setzen kann«, dachte Lord Peter, als er wieder ins hektische Getriebe der City hinaustrat, »und was  wird nur  meine Mutter sagen?«

5. Kapitel
    Mr. Parker lebte als Junggeselle in einer georgianischen, aber ungemütlichen Wohnung in der Great Ormond Street 12A, wofür er eine Miete von einem Pfund die Woche bezahlte. Seine Verdienste um die

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