Ein Toter zu wenig
Thipps' Vernehmung gestaltete sich mehr unterhaltsam als aufschlußreich und bot ein hervorragendes Beispiel für das Spielchen namens »gerade Fragen, krumme Antworten«. Nachdem der Untersuchungsrichter fünfzehn Minuten lang seine Stimme und Geduld strapaziert hatte, gab er den Kampf auf und überließ der Dame das letzte Wort. »Sie brauchen mich nicht so anzufahren, junger Mann«, sagte die Achtzigjährige resolut. »Sitzt die ganze Zeit da und verdirbt sich den Magen mit diesen gräßlichen Lutschbonbons.«
An dieser Stelle erhob sich ein junger Mann im Gerichtssaal und bat, aussagen zu dürfen. Nachdem er erklärt hatte, sein Name sei William Williams, von Beruf Glaser, wurde er vereidigt und bestätigte Gladys Horrocks' Aussage hinsichtlich ihrer Anwesenheit im »Schwarzen Hammel« am Montagabend. Sie seien noch vor zwei Uhr zur Wohnung zurückgekehrt, glaube er, aber auf jeden Fall später als halb eins. Es tue ihm leid, daß er Miss Horrocks überredet habe, mit ihm zu kommen, obwohl sie eigentlich nicht gedurft hätte. Er habe bei beiden Besuchen nichts Verdächtiges in der Prince of Wales Road bemerkt. Inspektor Sugg ließ sich dahingehend aus, daß er am Dienstagmorgen gegen halb neun gerufen worden sei. Er habe das Auftreten des Mädchens verdächtig gefunden und sie festgenommen. Nachdem er weitere Informationen erhalten habe, die ihm die Vermutung nahegelegt hätten, daß der Tote in der betreffenden Nacht ermordet worden sei, habe er Mr. Thipps verhaftet. Für einen Einbruch in die Wohnung habe er keine Hinweise gefunden. Gewisse Spuren auf der Fensterbank des Badezimmers deuteten darauf hin, daß jemand auf diesem Weg hereingekommen sei. Auf dem asphaltierten Hof hätten sich keine Leiter- oder Fußspuren gefunden. Er habe das Dach in Augenschein genommen, dort aber nichts entdeckt. Seiner Ansicht nach sei die Leiche schon vorher von jemandem in die Wohnung gebracht und bis zum Abend dort versteckt worden, und der Betreffende sei dann während der Nacht unter Mithilfe des Mädchens durchs Badezimmerfenster hinausgestiegen. Warum habe das Mädchen den Betreffenden in diesem Falle nicht zur Tür hinausgelassen? Nun, das wäre sicher auch gegangen. Ob er irgendwelche Hinweise darauf gefunden habe, daß eine Leiche oder ein lebender Mensch oder beides in der Wohnung versteckt gewesen sei? Welche Informationen hätten ihn zu der Annahme geführt, daß der Tod erst in der betreffenden Nacht eingetreten sei?
Bei dieser Frage schien Inspektor Sugg unsicher zu werden und versuchte sich auf seine Berufsehre zurückzuziehen. Auf weiteres Bohren räumte er aber ein, daß die fraglichen Hinweise nicht weitergeführt hätten.
Frage eines Geschworenen: Habe der Verbrecher vielleicht Fingerabdrücke hinterlassen?
Im Bad seien einige Abdrücke gefunden worden, doch der Verbrecher habe Handschuhe getragen.
Untersuchungsrichter: Ziehen Sie aus diesem Umstand Schlüsse hinsichtlich der Erfahrung des Verbrechers?
Inspektor Sugg: Er scheint mit allen Wassern gewaschen zu sein, Sir.
Der Geschworene: Verträgt sich das mit dem Verdacht gegen Mr. Thipps?
Der Inspektor schwieg.
Untersuchungsrichter: Halten Sie angesichts der soeben getroffenen Feststellungen an Ihrem Verdacht gegen Alfred Thipps und Gladys Horrocks fest?
Inspektor Sugg: Ich halte die ganzen Umstände für höchst verdächtig. Thipps' Geschichte ist unbewiesen, und was die Horrocks angeht, woher wollen wir wissen, daß dieser Williams nicht auch mit drinsteckt?
William Williams: Jetzt machen Sie aber mal 'nen Punkt! Ich kann hunderte Zeugen beibringen
Untersuchungsrichter: Ruhe bitte! Ich muß mich wundern, Inspektor, daß Sie in dieser Weise einen solchen Verdacht aussprechen. Das ist höchst ungehörig. Können Sie uns übrigens sagen, ob am Montagabend in irgendeinem Nachtclub in der Nähe des St. Giles Circus wirklich eine Polizeirazzia stattgefunden hat?
Inspektor Sugg (schmollend): Ich glaube, da war so etwas Ähnliches.
Untersuchungsrichter: Sie werden sich diesbezüglich zweifellos noch vergewissern. Ich glaube mich zu erinnern, eine entsprechende Meldung in einer Zeitung gelesen zu haben. Danke, Inspektor, das genügt.
Nachdem mehrere Zeugen aufgetreten waren und über Mr. Thipps' und Gladys Horrocks' Charakter ausgesagt hatten, erklärte der Untersuchungsrichter seine Absicht, nunmehr auf die medizinischen Gutachten einzugehen. »Sir Julian Freke.«
Es ging eine erhebliche Unruhe durch den Gerichtssaal, als der
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