Ein Toter zu wenig
werde es nicht mehr so schwer nehmen, danke«, sagte Lord Peter. Er rollte seinen Ärmel wieder ordentlich hinunter. »Ich bin Ihnen sehr verbunden. Wenn ich weitere Schwierigkeiten habe, komme ich wieder vorbei.«
»Gewiß - tun Sie das«, sagte Sir Julian gutgelaunt. »Aber melden Sie sich das nächstemal bitte an. Ich werde dieser Tage ziemlich stark in Anspruch genommen. Darf ich hoffen, daß es Ihrer Frau Mutter gutgeht? Neulich habe ich sie bei der Untersuchungsverhandlung zu dieser Battersea-Geschichte gesehen. Sie hätten dabeisein sollen. Es hätte Sie gewiß interessiert.«
12. Kapitel
Der häßliche, rauhe Nebel kratzte einem im Hals und tat in den Augen weh. Man sah die eigenen Füße nicht. Man stolperte auf seinem Weg über die Armengräber.
Es war tröstlich, Parkers alten Regenmantel unter den Fingern zu fühlen. Man hatte ihn schon an schlimmeren Orten gefühlt. Jetzt klammerte man sich daran, um ihn nur ja nicht zu verlieren. Die undeutlichen Gestalten vor einem bewegten sich wie Brockengespenster. »Vorsicht, meine Herren«, sagte eine tonlose Stimme aus der gelben Finsternis, »hier in der Nähe ist ein offenes Grab.«
Man drückte sich ein wenig nach rechts und stolperte über einen Haufen frisch ausgeworfenen Lehms. »Gib acht, Junge«, sagte Parker. »Wo ist Lady Levy?«
»In der Leichenhalle. Die Herzogin von Denver ist bei ihr. Deine Mutter ist großartig, Peter.«
»Ja, nicht?« antwortete Lord Peter.
Ein trübes blaues Licht, das jemand vor ihnen hertrug, schwankte und stand still. »Da sind wir«, sagte eine Stimme.
Zwei dantische Gestalten mit Mistgabeln tauchten drohend auf. »Sind Sie fertig?« fragte jemand. »Fast, Sir.« Die Dämonen machten sich wieder an die Arbeit mit ihren Mistgabeln - nein, Spaten.
Jemand nieste. Parker ortete den Nieser und stellte ihn vor. »Mr. Levett vertritt das Innenministerium. Lord Peter Wimsey. Tut uns leid, Mr. Levett, daß wir Sie an so einem Tag hierherschleppen müssen.«
»Das gehört zum Beruf«, sagte Mr. Levett heiser. Er war bis zu den Augen vermummt.
Noch etliche Minuten Spatengeräusche. Der eherne Klang hinuntergestoßenen Werkzeugs. Sich bückende und streckende Dämonen.
Ein schwarzbärtiges Gespenst gleich neben einem. Wurde vorgestellt. Es war der Direktor des Armenhauses. »Eine schmerzliche Geschichte, Lord Peter. Sie werden verzeihen, wenn ich hoffe, daß Sie und Mr. Parker unrecht haben.«
»Das möchte ich selbst hoffen können.«
Etwas wurde unter Keuchen und Ächzen aus dem Boden gewuchtet. »Langsam, Leute. Hier entlang. Könnt ihr sehen? Gebt auf die Gräber acht - die sind hier ziemlich dicht beieinander. Fertig?«
»Alles klar, Sir. Gehen Sie nur mit der Laterne voran, wir kommen schon nach.«
Schwerfällige Schritte. Man greift wieder nach Parkers Regenmantel. »Bist du das, altes Haus? Oh, Verzeihung, Mr. Levett - ich hatte Sie für Parker gehalten.«
»Hallo, Wimsey - ah, da bist du ja.«
Noch mehr Gräber. Ein Grabstein ragt schräg in den Weg. Ein Fuß stößt gegen eine Graskante. Unter den Schuhen knirscht Kies. »Hier entlang, meine Herren, achten Sie auf die Stufe.«
Die Leichenhalle. Rohe rote Ziegelwände und zischende Gasdüsen. Zwei Frauen in Schwarz und Dr. Grimbold. Der Sarg wird mit lautem Gepolter auf einen Tisch gestellt. »Hast du den Schraubenzieher, Bill? Danke. Sei vorsichtig jetzt mit dem Stemmeisen. Ist nicht viel dran an diesen Brettern, Sir.«
Ein mehrmaliges langgezogenes Knarren. Ein Schluchzen. Die Stimme der Herzogin, freundlich aber befehlend: »Still, Christine. Sie dürfen nicht weinen.« Stimmengemurmel. Die dantischen Dämonen treten schlurfend ab - nette, ordentliche Dämonen in Kordanzügen.
Dr. Grimbolds Stimme - kühl und unpersönlich wie im Sprechzimmer. »So - haben Sie die Lampe, Mr. Wingate? Danke. Ja, hierher auf den Tisch, bitte. Geben Sie acht, daß Sie sich mit dem Ellbogen nicht im Kabel verheddern, Mr. Levett. Ich glaube, Sie kommen besser auf diese Seite. Ja - ja -danke. So ist es ausgezeichnet.«
Plötzlich ein strahlender Lichtkegel von einer elektrischen Lampe über dem Tisch. Dr. Grimbolds Bart und Brille. Mr. Levett schneuzt sich die Nase. Parker beugt sich näher über den Tisch. Der Direktor des Armenhauses guckt ihm über die Schulter. Der übrige Raum liegt in der jetzt noch verstärkten Düsternis der Gaslampen und des Nebels.
Wieder Dr. Grimbold - jenseits des Lichtkegels. »Wir möchten Sie nicht unnötig quälen, Lady Levy. Wenn Sie uns nur
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