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Ein Toter zu wenig

Ein Toter zu wenig

Titel: Ein Toter zu wenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Leigh Sayers
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Verantwortungsgefühl und so weiter nennen, können sie entlang den alten Bahnen Störungen bewirken und ihrerseits physische Veränderungen hervorrufen, denen Sie dann die Namen geben, mit denen Sie sie in Verbindung zu bringen gewohnt sind - Angst vor deutschen Minen, Verantwortung für das Leben Ihrer Leute, überanstrengte Aufmerksamkeit und das Unvermögen, im alles übertönenden Donner der Kanonen kleinere Geräusche wahrzunehmen.«
    »Verstehe.«
    »Diese Wirkung wird noch gesteigert durch äußere Umstände, die andere bekannte physische Empfindungen hervorrufen - Nacht, Kälte oder lauter Verkehrslärm zum Beispiel.«
    »Aha.«
    »Also, die alten Wunden sind fast verheilt, aber noch nicht ganz. Eine normale Beanspruchung Ihrer geistigen Fähigkeiten hat keine bösen Folgen. Die treten nur ein, wenn Sie die verletzten Stellen in Ihrem Gehirn erregen.«
    »Ja, das verstehe ich.«
    »Gut. Sie müssen solchen Situationen also aus dem Weg gehen. Sie müssen lernen, verantwortungslos zu sein, Lord Peter.«
    »Meine Freunde sagen, ich sei schon jetzt allzu verantwortungslos.«
    »Sehr gut möglich. Ein empfindliches nervöses Temperament erweckt oft diesen Eindruck dank seiner geistigen Behendigkeit.«
    »Oh!«
    »O ja. Diese Verantwortung, von der Sie sprachen, lastet sie immer noch auf Ihnen?«
    »Ja.«
    »Sie haben die Handlung, zu der Sie sich entschlossen haben, noch nicht beendet?«
    »Nicht ganz.«
    »Sie fühlen sich verpflichtet, sie bis zu Ende durchzuführen?«
    »O ja - ich kann jetzt gar nicht mehr zurück.«
    »So. Und Sie rechnen mit weiteren Belastungen?«
    »Mit einigen, ja.«
    »Rechnen Sie damit, daß diese Sache noch lange dauert?«
    »Jetzt nicht mehr sehr lange.«
    »Aha! Ihre Nerven sind nicht gerade, was sie sein sollten.«
    »Nein?«
    »Nein. Nichts Besorgniserregendes, aber Sie sollten vorsichtig sein, solange Sie unter dieser Anspannung leben, und hinterher sollten Sie einmal völlig ausspannen. Wie wär's mit einer Reise ans Mittelmeer, oder in die Südsee oder sonstwohin?«
    »Danke, ich werde es mir überlegen.«
    »Inzwischen gebe ich Ihnen etwas zur Stärkung der Nerven, um Sie zunächst über Ihre gegenwärtigen Schwierigkeiten hinwegzubringen. Sie müssen wissen, daß Ihnen das nicht auf Dauer helfen wird, aber es wird Sie in der schlimmen Zeit über Wasser halten. Außerdem werde ich Ihnen etwas verschreiben.«
    »Danke.«
    Sir Julian stand auf und ging in ein kleines Behandlungszimmer nebenan. Lord Peter sah ihn hin und her gehen - er brachte irgend etwas zum Kochen und schrieb. Nach einer Weile kam er mit einem Rezept und einer Spritze zurück. »Hier ist das Rezept. Und wenn Sie jetzt kurz Ihren Ärmel hochrollen, werde ich der Notwendigkeit des Augenblicks Genüge tun.«
    Lord Peter rollte gehorsam den Ärmel hoch. Sir Julian Freke wählte eine Stelle am Unterarm aus und rieb sie mit Jod ein. »Was wollen Sie da in mich hineinpumpen - Bazillen?«
    Der Arzt lachte. »Nicht direkt«, antwortete er. Er drückte ein Stück Muskel zwischen Daumen und Zeigefinger zusammen. »So etwas haben Sie wahrscheinlich schon früher bekommen.«
    »O ja«, sagte Lord Peter. Er beobachtete fasziniert die ruhigen Finger, die stetig näherkommende Nadel. »Ja - das habe ich schon bekommen - und wissen Sie was? - Ich mag es nicht besonders.«
    Seine rechte Hand war nach oben gefahren und umklammerte das Handgelenk des Arztes wie ein Schraubstock.
    Die Stille war wie ein Schock. Die blauen Augen zuckten nicht; sie brannten fest auf die schweren weißen Lider unter ihnen herab. Dann hoben diese sich langsam; die grauen Augen begegneten den blauen - kalt, fest - und hielten ihrem Blick stand.
    Wenn Liebende sich umarmen, ist es, als ob kein Laut mehr auf der Welt existierte als nur ihr Atem. So atmeten jetzt diese beiden Männer von Angesicht zu Angesicht. »Natürlich, ganz wie Sie wünschen, Lord Peter«, sagte Sir Julian höflich.
    »Ich fürchte, ich bin ein ziemlicher Esel«, sagte Lord Peter, »aber diese Dinger konnte ich noch nie leiden. Ich habe einmal eine Spritze bekommen, die danebenging, und danach ist es mir ganz schön schlecht ergangen. Spritzen machen mich ein bißchen nervös.«
    »In diesem Falle«, antwortete Sir Julian, »ist es sicher besser, Ihnen keine zu geben. Sie könnte in Ihnen genau die Empfindungen wecken, die wir ja gerade vermeiden sollen. Nehmen Sie also das Rezept und tun Sie alles, um die gegenwärtige Anspannung so weit wie möglich zu verringern.«
    »O ja - ich

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