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Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman

Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman

Titel: Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Maria Herbst
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dann wird’s eben ein gemütlicher Airconditiontag.
    Natürlich wurden wir – klar, reine Vorsichtsmaßnahme! – gebeten, zusätzlich zu den Fenstern auch noch die hölzernen Lamellenrollos zu schließen, sobald wir die Liegestuhlauflagen, Aschenbecher und Terrassenhocker ins Innere verfrachtet haben: Das muss ein Bild zumindest für die Halbgötter sein, wie sechzig Fernsehheinis bis hin zu Wolfjang Rademann persönlich mit Aschenbecher in der verkrampften Hand in einem vollends abgedunkelten Bungalow auf einem Turm aus Liegestuhlmatratzen sitzen, komplett ausgehungert, mit der einzigen Hoffnung, dass zumindest die Klimaanlage nicht ihren Dienst versagt. Wenn unsere Generation sich überhaupt eine klitzekleine Vorstellung von der Stunde Null in Nachkriegsdeutschland machen kann, dann nimmt sie hier, Tausende von Kilometern südlich, immer noch komfortable Gestalt an.
    Höre Fragen wie: »Wenn du mir den halben Zwieback gibst, kriegst du von mir die Limette!«
    Ertappe mich dabei, dass ich darüber nachdenke, wie lange ich wohl auf meiner Spielkollegin rumkauen würde. Von Kannibalismus wurde schon aus weniger extremen menschlichen Situationen berichtet.
    Wünsche mir meinen letztwöchigen Infekt zurück: absolut appetitlos war ich da.
    Entdecke beim Blättern im Reiseführer die wörtliche Übersetzung von Bora Bora: »Insel unter dem Wind.« Beschließe für den Fall meines Überlebens, Wetter und Fremdsprachen künftig mit Humor zu nehmen.
    Blick aus dem beschlagenen Fenster: kindskopfgroße Kokosnüsse schwimmen an mir vorbei. Oha! Das himmlische Kind scheint bereits erste Enthauptungen vorgenommen zu haben.
    Merkwürdig, einfach so fängt einer der goldenen Wasserhähne in meinem Bad an zu tropfen, und die milchglasige Tür der Dusche vibriert. Reflex- und ruckartig bricht sich der leicht hysterische Gedanke Bahn, ich hätte einen zu waschenden Schlüpfer im Waschbecken vergessen, und Jack Bauer wolle ihn jetzt persönlich durchwalken. Ein kurzer Blick ums Eck verrät mir indes, dass dem nicht so ist. Zwar wünschte ich mir grad jetzt die Präsenz eines Weltenretters, aber gegen die Gewalt, die von Natur ausgeht, kann selbst ein Actionheld nichts ausrichten. Unter der Eingangstür ist verdorrtes Gras reingeweht worden. Dieses Szenario wirkt zunehmend bizarrer, fast so, als drehe Roland Emmerich ein Remake von
Der Exorzist
und David Lynch ist der Regieassistent.
     
    Auf einmal geht alles ganz schnell. Von wegen
Stunde Null
. Ab jetzt beginnt das Flächenbombardement der Alliierten. In diesem Augenblick ergeht nämlich ein telefonischer Rundruf an alle Resortinhaftierten, der Notplan greife, und ausnahmslos alle mögen sich innerhalb der nächsten Minuten mit einer 24-Stunden-Tasche (Jack?), man nennt sie wohl Sturmgepäck, im Restaurant einfinden, um dort ein »Lunch« einzunehmen, was mit Sicherheit umgangssprachliches Polynesisch für »Henkersmahlzeit« ist.
    Ausdrücklich wird man ersucht, den Koffer komplett zu packen und in die Mitte des Wohnraums zu stellen, auf dass er im Falle eines Falles sofort von Bediensteten des Hauses gegriffen werden kann, bevor der Pazifik ihn schnappt. Na ja, Hauptsache, sie schicken keinen von Iberia.
    Mein mit einer 4+ abgeschlossenes großes Latinum lässt ungebeten Überreste von Latein ans Ufer meines Großhirns schwappen: pacificus, zu Deutsch »friedlich«. Lach mich tot.
    Natürlich tue ich, wie mir befohlen.
    Der Deutsche braucht, gerade in solch harten Stunden, die klare Ansage, ja, den Befehl, denn dann funktioniert er und kommt seiner wahren Natur, ewig weisungsgebunden zu sein, am nächsten. Er ist der geborene Lohnsteuerzahler, und im Moment würde ich alles dafür geben, könnte ich im hässlichen, kalten und schneematschigen Köln in meinem unbeheizten Arbeitszimmer sitzen und meine Steuererklärung machen. Wie süß erscheinen mir plötzlich die hängenden Gärten der Werbungskosten, wie köstlich dünkt mich der Nektar meiner auszurechnenden Steuern auf Kapitaleinkünfte, wie über alle Maßen friedlich wirkt die bloße Vorstellung der Anlage N.
    Ist das schon eine Nahtod-Erfahrung?
    Eine plötzlich vor mir hinter einer Scheibe auftauchende Fratze lässt mir das Blut gefrieren, so erschrocken bin ich von ihrer Fremdheit, bis ich feststelle, dass ich in den Spiegel gucke. Diese Situation scheint sich auch in mein Gesicht gefräst zu haben. Komisch, ich komme mir eigentlich ganz stabil vor. Hoffentlich reicht der Zucker in meinem Blut bis zum Restaurant.

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