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Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman

Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman

Titel: Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Maria Herbst
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verleiht.
    Abgesehen davon finde ich das zur Diagnose dienende Gespräch ziemlich saft-, kraft- und humorlos, aber für mich sind diese Handvoll Ayurveda-Kurtage ja keine lebenswichtige Heilbehandlung, sondern eher eine Mischung aus ultimativem Verschönerungskick und naturheilkundlichem Selbstexperiment – Letzteres vor allem auch in Sachen Toleranz, denn als Erstes entdeckte ich kurz vorher eine ältere Frau mit wilden, aschgrauen Haaren, die eine silberne Kette über den Karotten auf ihrem Teller baumeln ließ, eine Kette, an deren Ende ein obeliskförmiger Edelstein hing, dessen Spitze kreisend ihr Essen überflog.
    Entweder versuchte diese Dame ihre Möhrchen zu hypnotisieren oder, genau, das wird es sein, sie pendelte sie aus. Ich traute nicht nur meinen Augen nicht, sondern mich auch nicht, sie anzusprechen. Sie wirkte nur physisch existent. Bestimmt würde sie mich, da ihr Geist längst in anderen Universen unterwegs war, für einen Außerirdischen halten, der sie entführen und befruchten will.
    Auch alle anderen Gäste schienen einen reichlich esoterischen Touch zu haben, was sich nicht nur an ihrer aus wallenden Gewändern und durchsichtigen Tüchern bestehenden Bekleidung bemerkbar machte. Wenn sie nicht über ihre vielfältigen Beschwerden redeten und mir mit ihren unüberhörbaren Detailschilderungen über eingewachsene Nägel, das Absondern weißlich gelber Flüssigkeiten und den perfekten Einlauf mit handwarmem Rooibuschtee den Appetit verdarben, tauschten sie sich über irgendwelche Erfahrungen aus früheren Leben aus. Na, das kann ja was werden.
    Ich flüchtete vor den geballten Wiedergängern ihrer Selbst an den Pool und legte mich – natürlich entgegen den Vorschriften des Arztes und meiner Maskenbildnerin – in die Sonne. Schatten kann ja jeder. Am Abend gab es die zugeteilten Medizinrationen. Obwohl ich ja eigentlich nichts habe, hilft irgendwas bestimmt gegen irgendwas. Mein Irgendwas besteht aus urinfarbenen Tropfen, einem stinkenden Pulver und daumengroßen, aber immerhin geschmacksneutralen Kapseln. Keine Ahnung, wofür oder wogegen das Zeug gut ist, aber ich schlucke es mit schäfischem Gehorsam getreu der ärztlichen Verordnung. In Anbetracht des Geschmacks der Mittelchen ertappe ich mich dabei, in einer spontanen Stegreifrede laut die Vorzüge der Schulmedizin zu preisen.
    Um den ekligen Nachgeschmack des Pulvers, das noch dazu einen unangenehm pelzigen Zahn- und Zungenbelag verursacht, wegzuspülen, muss ich dringend auf ein Bier in die Hausbar. Da Alkohol während der Kur natürlich strikt untersagt sein sollte, beruhige ich mein schlechtes Gewissen erstens damit, dass meine Behandlungen ja eigentlich erst am nächsten Tag so richtig beginnen, und lasse mir zweitens von einem etwas zu unterwürfigen Bediensteten ein weiteres Bier bringen, das auf den Markennamen »Taboo« hört.
    Und dann ist es so weit – die erste Behandlung, für meine Begriffe etwas hochtrabend »La Thérapie« genannt, steht an! Man schlüpft dazu in einen leichten Bademantel und begibt sich zur »Cottage de Thérapie«. Hier wird man schon von den Masseurinnen erwartet, die einen ohne großes Brimborium – und damit meine ich: wortlos – in einen fensterlosen, leicht muffigen Raum führen. Hier tauscht man den Bademantel gegen einen dreieckigen Lendenschurz. Sehr weit, auch nach dem komplizierten Zubinden. Einfach sexy, diese Einheitsgrößen. So einen Lappen trug ich zuletzt bei meiner Mandeloperation in den Siebzigern. Schön, dass sich diese Mode als zeitlos erwiesen hat und es von einem Jahrzehnt ins nächste schafft – weltweit.
    In dem Raum steht ein großer Holztisch, der, wäre er aus Stein, auch ein Seziertisch sein könnte, denn er hat Abflussrinnen an allen vier Seiten. Schluckend setze ich mich darauf. Dann werden mir mit einem feuchten Tuch die Fußsohlen abgerieben.
    Mittlerweile haben sich die Augen an das Halbdunkel gewöhnt und ich erkenne weitere Details: Auf einem Kocher in der Ecke blubbert ein dunkelbraunes Öl vor sich hin, das einen äußerst merkwürdigen Geruch ausströmt. Ein Geruch, den ich später für alle Zeiten mit Ayurveda in Verbindung bringen werde. Und auch sonst kommt man sich ein bisschen vor wie in einer Hexenküche, in der viel frittiert wird. Ich zweifle ein wenig an meinem Geisteszustand, denn immerhin werde ich mich trotz 33°C Außentemperatur gleich mit heißem Öl einreiben lassen. Bevor ich mir noch mehr Gedanken machen kann, packt mich das Massageteam

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