Ein Traummann zum verzweifeln
damit offen sein Pferdegebiss. Er schnappte sich von dem Tablett eines herumgehenden Obers zwei Gläser und reichte eines davon Reid. »Sag mal, hattest du schon Gelegenheit, dir das neue Pony anzusehen, das Pettigrew für seinen Stall erworben hat?« Sein reizloses Gesicht leuchtete vor Eifer.
Mo beobachtete die Szene aus ein paar Metern Entfernung. Und während sie an ihrem Wein nippte und mit langjährigen Bekannten Belanglosigkeiten austauschte, ging ihr immer wieder ein Gedanke durch den Kopf, der sie zu einer völlig neuen Erkenntnis führte. Es war höchste Zeit, etwas zu überdenken, was sie schon viel zu lange als selbstverständlich betrachtet hatte.
Jahrelang hatte sie Reid die zwischen ihnen ständig größer werdende Distanz vorgeworfen, hatte ihn für die Spannungen in ihrer Ehe verantwortlich gemacht. Sie hatte seine schädliche Neigung, sein persönliches Kapital ohne entsprechende Sicherheiten zu verleihen, bemängelt und sie als rücksichtslose Missachtung ihrer Gefühle verurteilt.
Aber es war nicht Reid, der sich verändert hatte. Sie hatte sich verändert.
Sie hatte sich zu ihm vor allem deshalb hingezogen gefühlt, weil er Humor hatte, weil er den Menschen gegenüber, die er als seine Freunde betrachtete, schier grenzenlos loyal war, und weil er für den Silberlöffel in seinem Mund, mit dem er zur Welt gekommen war, keine irdische Verwendung hatte.
Er hatte ihn, ohne einen Moment zu zögern, einfach ausgespuckt. Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte er sich wahrscheinlich an etwas anderem versucht und der seriösen Familienbank den Rücken gekehrt, wo man ihm sein Mitgefühl für Leute, deren Kreditanträge vom übrigen Vorstand als reine Zeitverschwendung abgetan wurden, als Schwäche ankreidete. Es gehörte schon viel Charakterstärke dazu, einem ungeliebten Job treu zu bleiben, nur um dem Sicherheitsbedürfnis seiner Frau Rechnung zu tragen. Tag für Tag hatte er damit leben müssen, dass seine Ansichten von einem knausrigen, profitorientierten Bankvorstand abgeschmettert wurden. Und das einzig und allein um ihretwillen. Als sie sich zusätzlich auch noch von ihm abgewandt hatte, hatte er seine Freizeit, sein Geld und seine Kraft in Fälle gesteckt, die jeder andere als hoffnungslos abgeschrieben hätte. In Fälle, die er Freunde genannt hatte.
Seine Familie hatte das nicht verstanden. Und sie, weiß Gott, auch nicht. Für sie alle war das zum Fenster hinausgeworfenes Geld. Aber auch wenn sich die Schulkameraden, die sie Versager geschimpft hatte, für die Rückzahlung gewaltig Zeit gelassen hatten – als Reid sie am dringendsten brauchte, standen alle, in die er sein Geld und sein Vertrauen investiert hatte, für ihn ein. Genauso wie er es vorausgesagt hatte. In den letzten paar Tagen hatte sie genau mitbekommen, wie viele Freunde ihr Mann hatte.
Und es waren mehr, als sie von sich behaupten konnte.
Sheldon entfernte sich ein paar Minuten später, und sie gesellte sich wieder zu Reid. In der nächsten halben Stunde kamen noch ein paar weitere Freunde von Reid auf sie zu. Alle näherten sich dem Ehepaar mit dem gleichen, beinahe identischen, verlegenen Lächeln. Dabei waren sie doch recht verschieden. Nicht alle von ihnen waren Söhne reicher Eltern, die unfähig waren, ihr Geld zu verwalten, oder nicht auf die hörten, die sie dafür bezahlten, es für sie zu verwalten. Für einige war der Besuch teurer Privatschulen nur mit Hilfe eines Stipendiums möglich gewesen, und Reid hatte ihnen, wie Mo den Gesprächen entnahm, Starthilfe beim Aufbau ihres jeweiligen Geschäfts gegeben. Sie begann sich zu fragen, ob sie seine Verdienste überhaupt jemals in irgendeiner Weise anerkannt hatte.
Schecks wechselten mal mehr, mal weniger diskret ihren Besitzer. Als sich die Einzelbeträge allmählich zu einer beträchtlichen Summe addierten, keimte die Hoffnung auf, dass sie möglicherweise doch keine strafrechtliche Verfolgung zu befürchten brauchte. Sie würde nicht nur um einen Aufenthalt im Gefängnis herumkommen, sondern sehr wahrscheinlich auch einen unbeschädigten Ruf behalten. Eigentlich sollte sie nun zutiefst dankbar dafür sein, dass man ihr die Kastanien aus dem Feuer geholt hatte. Stattdessen kroch langsam die Angst in ihr empor.
Denn nichts davon zählte, wenn sie dafür am Ende Reid verlor. Sie hatte ihn unterschätzt – das wusste sie jetzt. Sie hatte ihn einfach als selbstverständlich hingenommen. Es würde sie umbringen, wenn sie bekäme, was sie verdiente, wenn sie mit
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