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Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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Hof, hinter ihm sein Gefolge. Aus einer Tür unter mir kam der Prior, gefolgt von seinen Mönchen, um ihn zu begrüßen, dann wurden die Tore wieder vor der Menge verschlossen.
    Ich blickte mich um und stellte fest, daß ich mich in einem gewölbten Raum befand, in dem etwa ein Dutzend Menschen schweigend saßen. Offenbar wollten sie vorgestellt werden. Nach ihrer Kleidung zu urteilen, gehörte sie zum Landadel, daher hatten sie vermutlich Zutritt zur Priorei.
    »Paß auf«, sagte eine Stimme in mein Ohr, »zu diesem Anlaß wird sie ungeschminkt erscheinen.«
    Roger, der Reiter, stand neben mir, aber seine Bemerkung war an einen Gefährten gerichtet, einen gleichaltrigen oder etwas älteren Mann, der sich die Hand vor den Mund hielt, um ein Lachen zu unterdrücken.
    »Bemalt oder nicht, Sir John will sie auf jeden Fall haben«, antwortete er, »und gibt es dafür eine günstigere Zeit als den Abend des Martinstags, wenn er seine eigene Dame acht Meilen weiter in Bockenod im Bett weiß?«
    »Es könnte gelingen«, pflichtete ihm ein anderer bei, »aber es ist ein Risiko, denn sie kann sich nicht darauf verlassen, daß Sir Henry fort bleibt. Er wird heute wohl kaum in der Priorei übernachten, da der Bischof im Gästezimmer einquartiert ist. Nein, laß sie ruhig noch eine Weile warten, und sei es nur, um ihren Appetit zu steigern.«
    Klatsch hatte es also schon vor Jahrhunderten gegeben, und ich fragte mich, warum diese bösen Bemerkungen mich jetzt reizten, während ich sonst nur gähnende Langeweile empfand, wenn ich meine Zeitgenossen auf einer Gesellschaft so reden hörte. Vielleicht schien mir dieser Klatsch prickelnder, weil ich als Lauscher in der Zeit hinter diesen Klostermauern stand. Ich folgte den Blicken der beiden Männer auf eine kleine Gruppe nahe der Tür – die wenigen Bevorzugten, die zweifellos vorgestellt werden sollten. Wer war der tapfere Sir John und wer die glückliche Dame, die er sich auserkoren hatte und die ungeschminkt erschien?
    Da saßen vier Männer, drei Frauen und zwei Jünglinge, und die Mode der weiblichen Kopfbedeckung machte es einem schwer, die Gesichter aus der Entfernung voneinander zu unterscheiden, denn sie waren von Hauben und Kinnbinden verhüllt. Ich erkannte den Herrn des Gutshofes, Henry de Champernoune, den würdevollen älteren Mann, der gestern in der Kapelle gebetet hatte. Er war schlichter gekleidet als seine Freunde; diese trugen bunte Waffenröcke, die ihnen bis auf die Mitte der Wade herabhingen, tief unterhalb der Hüfte geschlungene Gürtel mit Tabakbeutel und Degen. Alle waren bärtig und hatten das Haar gelockt – das bestimmte wohl die herrschende Mode.
    Zu Roger und seinen Gefährten war ein Neuankömmling in geistlichem Gewand getreten, dem ein Rosenkranz vom Gürtel baumelte. Seine rote Nase und die undeutliche Aussprache ließen darauf schließen, daß er dem Weinkeller des Priors unlängst einen Besuch abgestattet hatte.
    »Wie ist die Reihenfolge?« murmelte er. »Als Gemeindepriester und Kaplan Sir Henrys müßte ich doch gewiß zu seinem Gefolge gehören?«
    Roger legte ihm eine Hand auf die Schulter und drehte ihn herum, so daß er gegenüber vom Fenster zu stehen kam. »Sir Henry kann auf Eure Fahne verzichten und Hochwürden, der Bischof, ebenfalls, es sei denn, Ihr wollt Eure Stellung verlieren.«
    Der Neuankömmling protestierte und klammerte sich gleichzeitig an die Mauer, um Halt zu finden, dann ließ er sich auf eine Bank nieder. Roger zuckte die Achseln und wandte sich an seinen Gefährten.
    »Es wundert mich, daß Otto Bodrugan es wagt, sich hier zu zeigen«, sagte sein Freund. »Es ist noch nicht zwei Jahre her, daß er für Lancaster gegen den König kämpfte. Es heißt, er sei in London gewesen, als der Pöbel Bischof Stapledon durch die Straßen zerrte.«
    »Das stimmt nicht«, erwiderte Roger. »Er war mit vielen hundert Menschen von der Partei der Königin oben in Wallingford.«
    »Trotzdem, seine Lage ist heikel«, sagte der andere. »Wenn ich Bischof wäre, würde ich den Mann, von dem es heißt, er habe die Ermordung meines Vorgängers gutgeheißen, nicht gern in meiner Nähe sehen.«
    »Seine Gnaden hat keine Zeit, Politik zu spielen«, erwiderte Roger. »Er wird mit der Diözese alle Hände voll zu tun haben. Vergangene Geschichten kümmern ihn nicht. Bodrugan ist heute wegen des Erbgutes hier, in dessen Besitz er sich mit Champernoune teilt, weil seine Schwester Joanna Sir Henrys Gemahlin ist. Außerdem auch aus

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