Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
Vom Netzwerk:
nach seiner Teilnahme am Aufstand gegen den König nicht gerade vertrauenerweckend; Carminowe allzu ehrgeizig – der kann Schwierigkeiten machen. Und was den Prior anging – war da nicht ein Soßenfleck auf seiner Ordenstracht? Ich hätte schwören können, daß der Bischof ihn ebenso wie ich bemerkte; einen Augenblick später glitt sein Blick über das Fußvolk und fiel auf die fast liegende Gestalt des Gemeindepriesters. Ich hoffte um der Gemeinde des Priors willen, daß die Inspektion später nicht in der Küche der Priorei, oder, was noch schlimmer wäre, im Zimmer des Priors fortgesetzt werden würde.
    Sir John hatte sich erhoben und stellte seinerseits vor.
    »Euer Gnaden, mein Bruder Sir Oliver Carminowe, einer der Bevollmächtigten Seiner Majestät, und seine Gemahlin Isolda.« Er stieß seinen Bruder vor, der sich, nach seinem geröteten Gesicht und dem verschwommenen Blick zu urteilen, die Wartezeit ebenfalls im Weinkeller vertrieben hatte.
    »Euer Gnaden«, sagte er und hütete sich vor einer zu tiefen Reverenz, denn in diesem Falle wäre es ihm unter Umständen schwer gefallen, sich wieder aufzurichten. Er sah, obgleich bezecht, besser aus als Sir John; er war größer, breiter und hatte einen grausamen Zug um das Kinn – sicher ein Mann, mit dem schlecht zu spaßen war.
    »Die würd' ich schon nehmen, wenn das Glück mir hold wäre.«
    Das Flüstern klang sehr nahe an meinem Ohr. Roger, der Reiter, stand wieder an meiner Seite; aber er redete nicht mit mir, sondern mit seinem Gefährten. Die Art, wie er meine Gedanken lenkte, hatte etwas Unheimliches; er stand immer dann neben mir, wenn ich ihn am wenigsten dort vermutete. Aber ich mußte ihm recht geben, und ich fragte mich, ob die fragliche Dame seinen Blick nicht auch bemerkte, denn sie starrte zu uns herüber, während sie sich nach dem Knicks erhob, als sie die Hand des Bischofs geküßt hatte.
    Isolda, Gemahlin von Sir Oliver Carminowe, trug keine Kinnbinde; ihr goldenes Haar war in Zöpfe geflochten, und ein edelsteinbesetztes Stirnband krönte den kleinen Schleier auf ihrem Haupt. Auch trug sie keinen Umhang über ihrem Kleid wie die anderen Frauen, und das Kleid selbst hatte keinen so weiten Rock; es lag enger an, und die langen, schmalen Ärmel reichten bis über das Handgelenk. Möglicherweise spielte, da sie jünger war als ihre Gefährtinnen – nicht älter als fünf- oder sechsundzwanzig –, die Mode in ihrem Leben eine größere Rolle. Dennoch schien sie sich dessen nicht bewußt und trug ihr Kleid mit nachlässiger Anmut. Ich hatte nie ein so schönes und zugleich so gelangweiltes Gesicht gesehen, und als ihr Blick völlig gleichgültig über uns hinflog – oder vielmehr über Roger und seinen Begleiter –, verriet eine leichte Bewegung ihres Mundes, daß sie ein Gähnen unterdrückte.
    Es ist wohl jedem Mann einmal beschieden, daß er ein Gesicht in der Menge sieht, das er nicht wieder vergißt, wenn er es durch einen glücklichen Zufall später in einem Restaurant oder auf einer Gesellschaft wiedertrifft. Die Begegnung zerstört dann oft den Zauber und führt zu einer Enttäuschung. Das war hier nicht möglich. Ich blickte über Jahrhunderte hinweg auf ein ›Mädchen ohnegleichen‹, wie Shakespeare sagt. Aber leider würde es mich nie ansehen.
    »Ich möchte wohl wissen, wie lange sie es in den Mauern von Carminowe aushält«, murmelte Roger, »und ihre Gedanken oder gar sich selbst davor bewahrt, auf Abwege zu geraten.«
    Das hätte ich auch gern gewußt. Wenn ich in jener Zeit gelebt hätte, so hätte ich meine Stellung als Diener Sir Henry Champernounes gekündigt und Sir Oliver und seiner Gemahlin meine Dienste angeboten.
    »Ein Segen für sie, daß sie ihrem Mann keine Erben schenken muß«, erwiderte der andere, »da schon drei kräftige Stiefsöhne vorhanden sind. Sie kann frei über ihre Zeit verfügen, denn sie gebar zwei Töchter, die Sir Oliver verkaufen kann und die ihm etwas einbringen, wenn sie in heiratsfähigem Alter sind.«
    So wurde also in jener Zeit die Frau eingeschätzt: eine Ware, mit der man auf dem Markt oder vielmehr auf dem Gutshof handelte. Kein Wunder, daß sie nach getaner Pflicht einen Trost suchte: entweder einen Geliebten oder Beteiligung am Handel um ihre eigenen Töchter und Stiefsöhne.
    »Ich sag dir was«, bemerkte Roger, »Bodrugan hat ein Auge auf sie geworfen, aber solange er Sir John verpflichtet ist, muß er sich vorsehen.«
    »Ich wette fünf Dukaten, daß sie ihn nicht

Weitere Kostenlose Bücher