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Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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ansieht.«
    »Abgemacht. Und wenn sie es doch tut, will ich Vermittler spielen. Das bin ich ja schon bei meiner Herrin und Sir John.«
    Als Lauscher in der Zeit hatte ich eine völlig passive Funktion, ohne Verpflichtung und Verantwortung. Ich konnte mich in ihrer Welt frei bewegen und wußte, was immer geschah, daß ich nichts tun konnte, um es zu verhindern – Komödie, Tragödie oder Farce –, während ich im zwanzigsten Jahrhundert die Verantwortung für mich und die Zukunft meiner Familie auf mich nehmen mußte.
    Die Audienz schien beendet, aber nicht der Besuch, denn jetzt rief eine Glocke alle Menschen zur Vesper, und die Gesellschaft teilte sich; die Höhergestellten begaben sich in die Kapelle der Priorei, die niederen Stände gingen in die Kirche. Ein gewölbter, vergitterter Torweg trennte diese von der Kapelle.
    Ich fand, daß ich auf den Vespergottesdienst verzichten konnte, obgleich ich von meinem Platz am Gitter Isolda hätte beobachten können; aber mein Führer, der den Hals nach demselben Ziel reckte, entschied, er habe sich schon lange genug aufgehalten, machte seinem Gefährten mit einer Kopfbewegung ein Zeichen und bahnte sich seinen Weg aus der Priorei, über den Hof und durch das Tor. Irgend jemand hatte es wieder aufgemacht, und so stand dort eine Menschenmenge, die lachend zusah, wie das Gefolge des Bischofs den schwerfälligen Reisewagen mühsam in den Hof zu schieben versuchte. Die Räder staken tief im Schlamm des Weges. Aber es gab noch eine weitere Volksbelustigung. Der Dorfplatz war jetzt mit Männern, Frauen und Kindern dicht bevölkert. Dort schien eine Art Markt abgehalten zu werden, denn man hatte kleine Buden und Stände errichtet. Ein Bursche schlug die Trommel, ein anderer kratzte auf seiner Fiedel, während ein Dritter mir mit zwei Hörnern, die fast so lang waren wie er selbst, und die er kunstgerecht beide gleichzeitig blies, beinahe das Trommelfell zerriß.
    Ich folgte Roger und seinem Begleiter über den Platz. Sie blieben immer wieder stehen, um Bekannte zu begrüßen, und mir wurde klar, daß dies nicht eine zu Ehren des Bischofs veranstaltete Lustbarkeit war, sondern das große Fest der Metzger, denn an jedem Stand hingen frisch geschlachtete, bluttriefende Schafe und Schweine. Die Behausungen im Umkreis des Platzes zeigten den gleichen Schmuck. Jeder Hausbesitzer mühte sich mit dem Messer in der Hand, ein altes Mutterschaf zu häuten oder einem Schwein die Kehle durchzuschneiden, und ein paar Burschen schwangen Ochsenköpfe hin und her; die weit ausladenden Hörner ernteten Beifallsgeschrei und Gelächter. Als es dämmerte, flammten Fackeln auf, und Schlächter wie Schinder nahmen ein dämonisches Aussehen an; sie arbeiteten rasch und energisch, um fertig zu werden, bevor die Nacht hereinbrach. Darum wuchs der allgemeine Trubel, und der Musikant mit den beiden Hörnern ging in der Menge hin und her und hob seine Instrumente, um noch lauter zu schmettern.
    »So Gott will, können sie ihre Wänste diesen Winter ordentlich polstern«, bemerkte Roger. Ich hatte ihn fast vergessen, aber er war immer noch in meiner Nähe.
    »Du hast sicher alle Tiere gezählt, nicht wahr?« fragte sein Gefährte.
    »Nicht allein gezählt, sondern auch vor dem Schlachten genau angesehen. Nicht, daß Sir Henry es merken oder es ihm etwas ausmachen würde, wenn hundert Stück Vieh fehlten, aber meiner Herrin würde es nicht entgehen. Er ist zu tief in seine Gebete versunken, um auf den Beutel oder auf seinen Besitz zu achten.«
    »So traut sie dir also?«
    Der Reiter lachte. »Gewiß! Sie muß mir trauen, denn sie weiß, was ich für sie tue. Je mehr sie sich auf meinen Rat verläßt, desto besser kann sie nachts schlafen …«
    Er wandte den Kopf, da neuer Lärm hörbar wurde, dieses Mal von den Stallhöfen der Priorei her, wo man endlich den Wagen des Bischofs hineinbugsiert hatte. Er nahm nun den Platz kleinerer Gefährte ein, die einen ähnlichen hölzernen Baldachin trugen und ein Wappen auf den Seitenwänden. Die plumpen Gefährte dienten dazu, Damen von Rang ins Land hinauszutragen, und drei solche Vehikel rollten gerade mit quietschenden und knarrenden Rädern aus den hinteren Schuppen hervor und hielten in einer Reihe vor dem Eingang der Priorei.
    Der Vespergottesdienst war vorbei, und die Gläubigen kamen aus der Kirche, um sich unter die Menge auf dem Dorfplatz zu mischen. Roger drängte sich in den Hof, wo die Gäste des Priors sich vor der Abfahrt versammelten. Sir John

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