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Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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Verpflichtungen gegenüber Sir John. Die zweihundert Dukaten, die er von ihm geliehen hat, sind noch immer nicht zurückgezahlt.«
    Als an der Tür eine Bewegung entstand, drängten alle nach vorn, um besser sehen zu können. Der Bischof trat ein, neben ihm der Prior, adrett und sauberer als damals, als er neben dem Hund auf seinem unordentlichen Bett gesessen hatte. Die Herren verneigten sich, die Damen knicksten, und der Bischof streckte ihnen die Hand zum Kuß entgegen, während der durch das Zeremoniell verwirrte Prior die Anwesenden der Reihe nach vorstellte. Da ich in ihrer Welt keine Rolle spielte, konnte ich mich frei bewegen, solange ich niemanden berührte, und ich ging näher heran, neugierig zu erfahren, wer die Menschen in dieser Gesellschaft waren.
    »Sir Henry de Champernoune, Gutsherr von Tywardreath«, murmelte der Prior, »vor kurzem von einer Pilgerfahrt nach Compostela zurückgekehrt.«
    Der ältere Ritter trat vor und beugte ein Knie tief zum Boden; wieder fielen mir Würde, Anmut und zugleich Bescheidenheit dieser Erscheinung auf. Nachdem er die Hand des Bischofs geküßt hatte, erhob er sich und wandte sich an die Frau an seiner Seite.
    »Meine Frau Joanna, Euer Gnaden«, sagte er, und sie sank zu Boden, bemüht, es ihrem Mann an Demut gleichzutun und sich möglichst fromm zu neigen. Das war also die Dame, die sich geschminkt hätte, wenn nicht der Bischof zu Besuch erschienen wäre. Ich fand, sie hatte recht getan, darauf zu verzichten. Die Kinnbinde, die ihre Züge umrahmte, war Schmuck genug und hätte die Reize jeder Frau betont. Sie war eigentlich weder schön noch häßlich, und es überraschte mich nicht, daß man ihre eheliche Treue in Frage gestellt hatte. Derartige Augen hatte ich schon bei Frauen aus meiner Welt bemerkt, vorstehende, sinnliche Augen: ein Mann brauchte nur zu zwinkern, und sie gingen auf das Jagdspiel ein.
    »Mein Sohn und Erbe William«, sagte ihr Mann, und einer der Jünglinge trat vor, um sich zu verneigen.
    »Sir Otto Bodrugan und seine Gemahlin, meine Schwester Margaret«, fuhr Sir Henry fort.
    Es war offensichtlich eine eng verschwägerte Welt, denn hatte Roger nicht gesagt, daß Bodrugan der Bruder Joannas, der Gemahlin Champernounes war und so mit dem Gutsherrn doppelt verwandt? Margaret war klein und blaß und offensichtlich aufgeregt, denn sie stolperte, während sie Seiner Gnaden die Reverenz erwies, und wäre hingefallen, wenn ihr Mann sie nicht festgehalten hätte. Mir gefiel Bodrugan: In seinem Wesen lag Kühnheit, und ich dachte mir, er wäre gewiß ein guter Kumpan bei einem Duell oder einem tollen Streich. Offenbar hatte er auch Humor, denn anstatt über die Ungeschicklichkeit seiner Frau zu erröten oder verlegen zu werden, lächelte er und beruhigte sie. Seine Augen, braun wie die seiner Schwester Joanna, waren weniger vorstehend als ihre, aber ansonsten schien er mir doch ganz ähnliche Eigenschaften zu haben wie sie.
    Bodrugan seinerseits stellte seinen ältesten Sohn Henry vor und trat zurück, um dem nächsten Mann Platz zu machen. Dieser hatte sichtlich darauf gebrannt, sich in den Vordergrund zu drängen. Er war reicher gekleidet als Bodrugan und Champernoune, und auf seinen Lippen stand ein selbstgefälliges Lächeln.
    Dieses Mal stellte der Prior wieder vor. »Unser geliebter und geehrter Schutzherr Sir John Carminowe von Bockenod«, verkündete er, »ohne den wir in der Priorei in diesen unruhigen Zeiten in schwere Geldnot geraten wären.«
    Hier also war der Ritter, der sich gern mit allen gutstellte, der seine Dame acht Meilen fort eingesperrt hatte und nun eine andere fixierte, die allerdings noch nicht in seinem Bett gelandet war. Ich war enttäuscht, denn ich hatte einen rohen Gesellen mit unstetem Blick erwartet. Das traf nicht zu; er war klein und kräftig und machte einen außerordentlich selbstgefälligen Eindruck. Lady Joanna stellte also nicht sehr hohe Ansprüche.
    »Euer Gnaden«, sagte er in schwülstigem Ton, »wir sind hochgeehrt, Euch hier unter uns zu haben«, und er beugte sich derart affektiert über die dargebotene Hand, daß ich ihm, wäre ich Otto Bodrugan gewesen, der ihm zweihundert Dukaten schuldete, in die Kehrseite getreten und die Schuld damit beglichen hätte.
    Dem wachen und aufmerksamen Blick des Bischofs entging nichts. Er erinnerte mich an einen General, der seinen neuen Stab inspiziert und im Geiste seine Bemerkungen über jeden Offizier macht: Champernoune zu alt, muß ersetzt werden; Bodrugan kühn, aber

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