Ein Tropfen Zeit
warten.«
Am anderen Ende herrschte Schweigen. Ich hatte, wie üblich, ins Fettnäpfchen getreten.
»Du kannst uns nicht wiedersehen?« wiederholte sie. »Aber du mußt doch schon fünf Tage lang dort sein? Ich dachte, du hättest eine Zugehfrau bestellt, die kocht und aufräumt, die Betten macht und so weiter. Hat sie uns im Stich gelassen?«
»Nein, das ist es nicht. Sie ist großartig, könnte gar nicht besser sein. So hör doch, Liebling, ich kann es dir nicht am Telefon erklären, es steht alles in meinem Brief, aber ehrlich gesagt haben wir dich frühestens am Montag erwartet.«
»Wir?« sagte sie. »Soll das heißen, daß der Professor auch da ist?«
»Nein, nein.« Ich spürte, daß wir beide gereizt wurden. »Ich meinte Mrs. Collins und ich. Sie kommt nur morgens her, denn sie muß von Polkerris herüberradeln, dem kleinen Dorf hinter dem Berg, und die Betten sind noch nicht gelüftet und so weiter. Sie wird schrecklich verstimmt sein, wenn nicht alles vollkommen in Ordnung ist, und du kennst dich ja, du kannst das Haus gewiß nicht ausstehen, wenn nicht alles glänzt.«
»Was für ein Unsinn«, erklärte sie. »Ich bin doch ganz und gar auf Picknick eingestellt und die Jungen auch. Wir können etwas zu essen mitbringen, wenn du dir deswegen Sorgen machst. Und Decken auch. Oder sind genug Decken da?«
»Massenhaft«, sagte ich, »und massenhaft zu essen. Ach, Liebling, mach es mir doch nicht so schwer. Um die Wahrheit zu sagen, es paßt mir nicht, wenn du gleich herkommst. Es tut mir leid.«
»Okay.« Bei der zweiten Silbe hob sich die Stimme ein wenig – typisch für Vita, wenn sie sich im Augenblick geschlagen gab, zugleich aber entschlossen war, die Endschlacht zu gewinnen. »Am besten, du suchst dir eine Schürze und einen Besen«, fügte sie hinzu, um mir abschließend noch einen Hieb zu versetzen. »Ich werde Bill und Diana sagen, du seist häuslich geworden und wolltest den Abend auf Händen und Knien verbringen. Das wird ihnen gefallen.«
»Das heißt nicht, daß ich dich nicht sehen will, Liebling«, begann ich, aber ihr »Auf Wiedersehen«, ebenfalls mit einer drohenden Betonung der letzten Silbe, sagte mir, daß ich etwas besonders Schlimmes getan hatte. Sie hatte das Gespräch abgebrochen und ging jetzt zum Flughafenrestaurant, um sich einen Scotch on the Rocks zu bestellen und drei Zigaretten hintereinander zu rauchen, bevor ihre Freunde kamen und sie abholten.
Nun, das war's … Was nun? Mein Ärger auf Magnus hatte sich auf Vita übertragen. Wie konnte ich wissen, daß sie ein Flugzeug eher nehmen und mich unerwartet anrufen würde? Andere Ehemänner wären sicher bei einem Seitensprung erwischt worden. Aber das war es ja gerade. Meine Lage war nicht wie die jedes anderen, sie war einzigartig. Vor kaum einer Stunde hatte ich noch in einer anderen Welt gelebt, in einer anderen Zeit, oder hatte es mir unter dem Einfluß der Droge jedenfalls eingebildet.
Ich ging noch einmal ans Telefon und wählte Magnus' Nummer. Keine Antwort. Und keine Antwort auf die Fragen, die ich mir vorlegte. Jener Arzt mit den klugen Augen hätte mir vielleicht antworten können. Was hätte er mir gesagt? Daß eine halluzinogene Droge dem Unterbewußtsein merkwürdige Streiche spielen kann, indem sie die Verdrängungen eines ganzen Lebens an die Oberfläche bringt – daß man besser die Finger davon lassen sollte? Eine praktische Antwort, aber sie genügte nicht. Ich war nicht bei den Gespenstern meiner Kindheit gewesen. Die Menschen, die ich gesehen hatte, waren keine Schatten meiner Vergangenheit. Der Verwalter Roger war nicht mein zweites Ich und Isolda kein Phantasiegebilde, kein Wunschtraum. Oder vielleicht doch?
Ich versuchte noch zwei oder dreimal, Magnus zu erreichen, aber vergeblich, und ich verbrachte einen unruhigen Abend, unfähig, Zeitungen oder Bücher zu lesen, Schallplatten zu hören oder mich vor den Fernseher zu setzen. Schließlich ging ich ins Bett und schlief zu meiner eigenen Verwunderung erstaunlich gut.
Morgens rief ich als erstes in der Londoner Wohnung an und erwischte Vita, als sie gerade fortgehen wollte, um die Jungen abzuholen.
»Liebling, es tut mir leid, daß ich gestern abend …«, begann ich, aber ich hatte keine Zeit auszureden, sie sagte, sie sei schon spät dran.
»Wann soll ich dich anrufen?« fragte ich.
»Ich kann dir keine bestimmte Zeit sagen. Es hängt von den Jungen ab, je nachdem, was sie vorhaben, und ob wir noch Besorgungen machen müssen.
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