Ein Tropfen Zeit
April oder Anfang Mai gestorben. Zweifellos stand hinter dem Versuch, ihn aus seinem Grab in der Priorei herauszuholen, das Ehepaar Ferrers, sicher war Mathilda Ferrers die treibende Kraft. Ich fragte mich, wer dem Bischof das Gerücht hinterbracht hatte und dabei an den Stolz des Geistlichen appellierte, um auf diese Weise die Gewähr zu haben, daß der Leichnam nicht untersucht würde. Wahrscheinlich Sir John Carminowe gemeinsam mit Joanna, die inzwischen sicher längst sein Bett geteilt hatte.
Ich nahm mir die Liste der Steuerzahler vor, überflog noch einmal die Namen und strich alle an, die ich in irgendwelchen Ortsnamen auf der Autokarte wiederfand. Viele hatten der Nachwelt ihren Namen vermacht; nur Henry Champernoune, der Gutsherr, hinterließ nichts als ein paar Erdhügel, über die ich, der Eindringling in der Zeit, stolperte. Alle waren schon seit fast siebenhundert Jahren tot, auch Roger Kylmerth und Isolda Carminowe. Ihre geheimen Wünsche, ihr Ränkespiel, ihre Taten waren vergessen.
Ich wandte mich um und ging niedergeschlagen über das Feld zurück; meine Vernunft sagte mir, daß das Abenteuer wohl zu Ende sei. Aber das Gefühl wehrte sich gegen die Vernunft und zerstörte den Seelenfrieden, und ich wußte, daß ich im Guten wie im Bösen mit allem verknüpft war. Ich konnte den Gedanken nicht loswerden, daß ich nur den Schlüssel an der Tür des Labors umzudrehen brauchte, damit alles noch einmal geschah. Die gleiche Entscheidung, vor die der Mensch schon im Paradies gestellt wurde: Sollte er vom Baum der Erkenntnis essen oder nicht? Ich stieg in den Wagen und fuhr wieder nach Haus.
Nachmittags verfaßte ich für Magnus einen ausführlichen Bericht über die gestrigen Vorgänge, und ich schrieb auch, daß Vita bereits in London sei. Anschließend fuhr ich in den Ort, um den Brief einzustecken, und mietete ein Segelboot für die Zeit nach dem Wochenende, wenn Vita und die Jungen hier sein würden. Sie konnte hier zwar nicht die Schönheit der Bucht von Long Island wiederfinden oder den Luxus der Yacht, die ihr Bruder Joe gemietet hatte, aber die Geste würde ihr zumindest beweisen, daß ich mich bemühte, und auch die Jungen würden sich freuen.
An diesem Abend rief ich niemanden an und wurde auch nicht angerufen. Ich schlief schlecht, wachte wiederholt auf und lauschte in die Stille hinein. Ich dachte immerfort an Roger Kylmerth und fragte mich, ob sein Bruder wohl vor sechshundertfünfzig Jahren die Schalen gründlich ausgespült hatte. Sicher, denn Sir Henry war doch nach dem Erlaß des Bischofs sicher nicht ausgegraben worden. Oder?
Am Morgen aß ich mein Frühstück nicht im Bett, denn ich war zu unruhig. Ich trank meinen Kaffee auf den Stufen vor dem hohen Fenster der Bibliothek, als das Telefon läutete. Es war Magnus.
»Wie fühlst du dich?« fragte er sofort.
»Schlapp«, sagte ich, »ich habe schlecht geschlafen.«
»Schlafen kannst du immer noch – den ganzen Nachmittag im Innenhof oder im Heizungsraum –, dort ist es schön kühl. Du bist zu beneiden. In London vergeht man vor Hitze.«
»In Cornwall nicht«, antwortete ich, »und im Innenhof bekomme ich Platzangst. Hast du meinen Brief gekriegt?«
»Ja, darum rufe ich überhaupt an. Ich gratuliere zum dritten Trip. Mach dir nichts aus den Stunden danach. Es war schließlich dein eigener Fehler.«
»Vielleicht«, sagte ich, »aber da ist auch noch die geistige Verwirrung.«
»Ich weiß«, gab er zu. »Diese Verwirrung hat mich fasziniert. Auch der Sprung in der Zeit. Ungefähr sechs Monate oder mehr zwischen dem zweiten und dem dritten Trip. Weißt du was? Ich hätte Lust, schon in einer Woche oder so abzufahren und zu dir zu kommen, so daß wir zusammen einen Trip machen könnten.«
Zuerst gefiel mir der Einfall. Dann aber kehrte ich auf die Erde zurück. »Ausgeschlossen! Vita wird mit den Jungen hier sein.«
»Die können wir loswerden. Schick sie auf die Scilly-Inseln oder für einen ganzen Tag zum Picknick im Wald. Dann haben wir genug Zeit.«
»Ich glaube nicht, daß das geht. Nein, bestimmt nicht.« Er kannte Vita nicht gut genug. Ich konnte mir das Theater vorstellen, das sie machen würde.
»Nun, das ist ja auch nicht unbedingt nötig«, meinte er, »aber es wäre doch lustig. Außerdem würde ich mir Isolda Carminowe gern auch mal ansehen.«
Seine leichtfertige Redeweise beruhigte mich etwas. Ich lächelte sogar. »Sie gehört Bodrugan, nicht uns«, sagte ich.
»Ja, aber wie lange«, bemerkte er. »Damals
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