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Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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Euch streng zum Gehorsam und befehlen, daß Ihr Euch solcher unbesonnenen Dreistigkeit widersetzen und nicht erlauben sollt, daß der genannte Leichnam ausgegraben oder fortgeschafft wird … Gegeben zu Paignton am 27. August.«
    Magnus hatte eine Nachschrift zugefügt: »Mir gefällt Bischof Grandlissons verblümte Redeweise. Aber worum geht es hier eigentlich? Um einen Familienstreit oder etwas Schlimmeres, wovon der Bischof nichts weiß.«
    Das zweite Dokument war eine Namensliste: »Steuerliste für Laien 1327, Pfarrbezirk Tywardreath. Steueranteil ist ein Zwanzigstel aller beweglichen Habe … für alle Laien, die zehn Dukaten und mehr besitzen.« Da standen insgesamt vierzig Namen, Henry de Champernoune obenan. Ich überflog die Reihe der übrigen. Nummer dreiundzwanzig war Roger Kylmerth. Er war also keine Halluzination gewesen – er hatte wirklich gelebt.

8
    Nachdem ich mich angezogen hatte, ging ich in die Garage, holte den Wagen und fuhr an Tywardreath vorbei nach Treesmill, wobei ich die Ausweichstelle absichtlich vermied. Der Mann am Bungalow namens Chapel Down wusch gerade seinen Wohnwagen und winkte mir zu. Dasselbe geschah, als ich unterhalb der Brücke in der Nähe des Treesmill-Hofes anhielt. Der Bauer, den ich am Morgen zuvor gesprochen hatte, trieb gerade seine Kühe über die Straße und blieb stehen, um mich zu begrüßen. Ich dankte meinen Sternen, daß mich keiner von ihnen später an der Ausweichstelle gesehen hatte.
    »Haben Sie das Gutshaus gefunden?« fragte er.
    »Ich bin noch nicht ganz sicher«, antwortete ich. »Ich glaube, ich sehe mich noch einmal um. Das ist eine merkwürdige Stelle da oben, auf halber Höhe des Feldes, wo der Stechginster wächst. Hat sie einen Namen?«
    Von der Brücke aus konnte ich die Stelle nicht sehen, deutete aber in die Richtung des Steinbruchs, in dem ich gestern – in einem anderen Jahrhundert – Roger in das Haus gefolgt war, wo Henry de Champernoune im Sterben lag.
    »Ich glaube kaum, daß Sie dort etwas anderes finden als alten Schiefer und Geröll«, sagte er. »Schöne Fundstelle für Schiefer – das war es wenigstens einmal. Jetzt liegt da nur noch Abfall. Die Leute sagen, als im vergangenen Jahrhundert die Häuser von Tywardreath gebaut wurden, hätten sie die meisten Steine und den Schiefer von dort geholt. Kann schon stimmen.«
    Ich parkte auf halbem Weg am Hang gegenüber dem Heckenpfad und ging quer über das Feld. Rechts hinter mir lag das Tal mit der Eisenbahnlinie; der Boden fiel steil ab bis zu einer hohen Böschung neben den Schienen, dann senkte er sich allmählich bis zu einem Dickicht und einem Sumpfgelände. Gestern, in der anderen Welt, hatte ich hier noch einen Kai gesehen, und mitten im bewaldeten Tal hatte Otto Bodrugan sein Schiff im Kanal geankert.
    Ich ging unterhalb der Hecke vorbei an dem Platz, wo ich gesessen und meine Zigarette geraucht hatte. Dann schritt ich durch das verfallene Tor und stand zwischen den kleinen Erdwällen und Hügeln. Heute erkannte ich, daß diese niedrigen Hügel keinesfalls natürlichen Ursprungs waren, sondern einst Mauern gewesen sein mußten, nun von jahrhundertealter Vegetation bedeckt. Die Vertiefungen, die ich in meiner Benommenheit für Gruben des Steinbruchs gehalten hatte, waren ganz früher die Räume eines Hauses gewesen.
    Die Leute hatten nicht ohne Grund hier Schiefer und Steine für ihre Hütten gesucht. Wenn sie den Boden umwühlten, der die Fundamente eines vor langer Zeit verschwundenen Gebäudes bedeckte, so fanden sie dort gewiß viel brauchbares Material und entdeckten gleichzeitig den Steinbruch. Jetzt, da hier niemand mehr grub, verwandelte sich der Steinbruch in eine Abfallhalde, in der sich Gerümpel und alte, vom Winterregen verrostete Blechbüchsen ansammelten.
    Ihre Suche war zu Ende, während meine eben begonnen hatte, aber ich fand nichts, wie der Bauer in Treesmill mir prophezeit hatte. Ich wußte nur, daß ich gestern, in einer anderen Zeit, in dem großen Gang gestanden hatte, daß ich die äußere Treppe in die Kammer hinaufgegangen war, wo der Gutsherr im Sterben lag. Jetzt waren keine Mauern, kein Gang, keine Ställe mehr zu sehen, nichts als grasbewachsene Böschungen und ein kleiner, lehmiger Pfad, der zwischen ihnen hindurchführte.
    Ich hatte die Dokumente, die morgens mit der Post angekommen waren, in meine Tasche gesteckt, zog sie jetzt heraus und las sie noch einmal durch.
    Bischof Grandissons Erlaß war vom August 1329 datiert. Sir Henry war Ende

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