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Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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Nase putzte, hörte ich, wie eine Wagentür zugeschlagen wurde. Der Besitzer war ausgestiegen und starrte auf mich herab.
    »Geht es jetzt besser?« fragte er.
    »Ich glaube ja.«
    Ich erhob mich schwankend, und er reichte mir die Hand, um mir zu helfen. Er war ungefähr in meinem Alter, Anfang Vierzig, mit freundlichem Gesicht und auffallend festem Griff.
    »Haben Sie Ihre Autoschlüssel?«
    »Die Schlüssel …« Ich wühlte in meiner Hosentasche. Mein Gott! Wenn ich sie im Steinbruch zwischen all dem Geröll verloren hätte, würde ich sie nie wiederfinden. Aber sie steckten in der oberen Jackentasche neben der kleinen Flasche. Ich war so erleichtert, daß ich mich plötzlich sicherer bewegen konnte und ohne Hilfe zum Wagen ging. Wieder tastete ich umher: Ich konnte den Schlüssel nicht ins Schloß stecken.
    »Geben Sie her, ich schließe auf«, sagte mein Samariter.
    »Das ist sehr freundlich von Ihnen. Es tut mir leid«, sagte ich.
    »Gehört alles zu meinem Beruf«, antwortete er. »Ich bin nämlich zufällig Arzt.«
    Ich fühlte, wie mein Gesicht erstarrte und sich dann sogleich zu einem Lächeln verzog, das entwaffnend sein sollte. Die Hilfe eines zufällig vorbeifahrenden Autofahrers war eine Sache – die berufsmäßige Neugier eines Mediziners hingegen etwas ganz anderes. Er starrte mich auch prompt mit unverhohlenem Interesse an, und ich konnte es ihm nicht einmal verdenken. Ich hätte gern gewußt, was er wohl dachte.
    »Ich glaube, ich bin ein bißchen zu schnell den Hügel hinaufgegangen«, sagte ich. »Mir schwindelte schon, als ich oben ankam, und dann übergab ich mich und konnte nicht wieder aufhören.«
    »Na ja«, meinte er, »das kann schon passieren. Eine Ausweichstelle ist ein ebenso guter Platz zum Erbrechen wie jeder andere. Sie würden sich wundern, wenn Sie wüßten, was man hier so in der Touristensaison erlebt.«
    Er ließ sich jedoch nicht irremachen. Seine Blicke sprachen Bände. Ich fragte mich, ob die kleine Flasche sich wohl in meiner Jackentasche abzeichnete.
    »Haben Sie weit zu fahren?« fragte er.
    »Nein, nur ein paar Kilometer.«
    »Wäre es in diesem Fall nicht vernünftiger, wenn ich Sie nach Hause führe? Sie könnten das Auto ja später holen lassen.«
    »Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen«, sagte ich, »aber ich versichere Ihnen, daß ich mich jetzt völlig in Ordnung fühle; es war eine vorübergehende Anwandlung.«
    »Hm«, meinte er, »aber sie hat ziemlich lange gedauert und war ganz schön heftig.«
    »Wirklich«, wiederholte ich, »mir fehlt nichts mehr. Vielleicht war es das Mittagessen, und dann bin ich bergauf gegangen …«
    »Hören Sie«, unterbrach er mich, »Sie sind nicht mein Patient, und ich will Ihnen keine Vorschriften machen. Ich warne Sie nur, es könnte gefährlich werden, wenn Sie fahren.«
    »Ja«, antwortete ich, »das ist sehr nett von Ihnen, und ich danke Ihnen für den Rat.« In Wirklichkeit konnte er durchaus recht haben. Am Tag zuvor war ich mit Leichtigkeit nach St. Austeil und zurück gefahren. Heute war es vielleicht anders. Das Schwindelgefühl konnte wiederkommen. Er bemerkte wohl, daß ich zögerte, denn er sagte: »Wenn es Ihnen recht ist, fahre ich hinter Ihnen her, nur um zu sehen, daß alles gutgeht.«
    Das konnte ich wohl kaum ablehnen, denn sonst wäre er noch mißtrauischer geworden. »Das ist sehr nett von Ihnen«, sagte ich, »ich brauche nur bis zum Polmear Hill zu fahren.«
    »Das ist auch mein Weg«, entgegnete er lächelnd, »ich wohne ganz in der Nähe.«
    Ich stieg vorsichtig in den Wagen und lenkte ihn auf die Straße. Er fuhr dicht hinter mir, und ich dachte, wenn ich jetzt falsch steuere, bin ich erledigt. Aber es ging alles glatt, und ich brauste den Polmear Hill hinauf. Als ich nach einiger Zeit rechts einbog, dachte ich noch, er würde mir bis zum Haus nachfahren; aber er winkte mir nur zu und fuhr weiter. Das zeugte jedenfalls für Takt. Vielleicht glaubte er, ich wohnte auf einem der Bauernhöfe in der Nähe. Ich fuhr durch das Tor in die Einfahrt, stellte den Wagen in der Garage ab und schloß die Haustür auf. Dann übergab ich mich noch einmal.
    Als ich mich erholt hatte und noch ziemlich zittrig auf den Beinen stand, spülte ich zuerst einmal die kleine Flasche aus, ging ins Labor, stellte sie in den Ausguß und ließ Wasser hineinlaufen. Sie war hier sicherer als in der Speisekammer. Erst als ich hinaufging und mich im Musikzimmer erschöpft in einen Sessel fallen ließ, fielen mir wieder die in

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