Ein Tropfen Zeit
Wahrscheinlich brauchen sie Jeans, Badezeug, ich weiß nicht, was noch alles. Übrigens danke ich dir für den Brief. Dein Professor versteht es aber wirklich, dich zu beschäftigen.«
»Lassen wir Magnus beiseite … Wie war das Abendessen mit Bill und Diana?«
»Nett. Viel Klatsch. Jetzt muß ich gehen, sonst warten die Jungen am Waterloo-Bahnhof.«
»Grüß sie von mir«, rief ich noch, aber sie hatte schon aufgelegt. Nun ja, ihre Stimme klang ruhig. Der Abend mit ihren Freunden und eine ordentliche Nachtruhe hatten sie wohl auf andere Gedanken gebracht, und auch mein Brief, mit dessen Inhalt sie sich anscheinend abgefunden hatte. Welche Erleichterung … Jetzt konnte ich wieder aufatmen. Mrs. Collins klopfte an die Tür und brachte das Tablett mit dem Frühstück.
»Sie verwöhnen mich«, sagte ich. »Ich hätte schon vor einer Stunde aufstehen sollen.«
»Sie haben doch Ferien«, antwortete sie. »Kein Grund, früh aufzustehen, nicht wahr?«
Ich dachte darüber nach, als ich meinen Kaffee trank. Eine aufschlußreiche Bemerkung. Kein Grund, früh aufzustehen … Schluß mit den U-Bahnfahrten von West-Kensington nach Covent Garten, mit dem Büro und den unvermeidlichen Routinearbeiten, mit den Verhandlungen über Werbung, Schutzumschläge, neue Autoren, alte Autoren. Alles vorbei, weil ich gekündigt hatte. Kein Grund aufzustehen. Aber Vita wollte, daß auf der anderen Seite des Atlantiks alles von neuem anfing. Daß ich wieder in die U-Bahn sprang, mich auf den Bürgersteigen drängte, ein dreißig Stockwerke hohes Bürogebäude, die unvermeidlichen Routinearbeiten, Verhandlungen über Werbung, Schutzumschläge, neue Autoren, alte Autoren. Kein Grund, früh aufzustehen …
Auf dem Tablett lagen zwei Briefe. Einer kam von meiner Mutter aus Shrospshire; sie schrieb, es sei sicher schön in Cornwall, sie beneide mich um die viele Sonne. Ihre Arthritis habe sich verschlimmert, und der arme alte Dobsie werde sehr taub (Dobsie war mein Stiefvater, und ich wunderte mich keineswegs, daß er taub war; vermutlich ein Abwehrmechanismus, denn meine Mutter redete unaufhörlich). Und so weiter, und so weiter. Ihre großen Schriftzüge füllten fast acht Seiten. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, denn ich hatte sie seit einem Jahr nicht mehr besucht, aber ich mußte ihr Gerechtigkeit widerfahren lassen. Sie machte mir niemals Vorwürfe, freute sich, als ich Vita heiratete, und bedachte die Jungen zu Weihnachten immer mit einem Taschengeld, das ich für übertrieben großzügig hielt.
Der andere Umschlag enthielt maschinegeschriebene Dokumente und eine von Magnus rasch hingekritzelte Mitteilung. »Lieber Dick«, stand darauf, »der beatlemähnige Freund meines Jüngers, der ständig im Britischen Museum und im Staatsarchiv herumschnüffelt, hat mir beiliegende Blätter geschickt; ich fand sie heute morgen auf meinem Schreibtisch. Die Abschrift der Steuerliste ist bestimmt interessant, und das andere Blatt, auf dem vom Gutsherrn Champernoune und dem Krach um seine Leiche die Rede ist, wird Dich zumindest amüsieren. Ich werde heute nachmittag an Dich denken und mich fragen, ob unser Vergil seinen Dante reingelegt hat. Vergiß nicht, daß Du Deinen Führer nicht berühren darfst; die Folgen könnten immer unangenehmer werden. Halte auf Abstand, dann geht alles in Ordnung. Ich schlage vor, Du hältst dich bei Deinem nächsten Trip an alle Vorschriften. Dein Magnus.«
Ich wandte meine Aufmerksamkeit den Dokumenten zu. Der Rechercheur hatte über die erste gekritzelt: »Von Bischof Grandisson, Exeter. Original in lateinischer Sprache. Entschuldigen Sie die Übersetzung.« Dann:
»Grandisson – Anno Domini 1329. Priorei Tywardreath.
John etc. an seine geliebten Söhne vom Orden, an die Lords, den Prior und die Priorei von Tywardreath, Grüße etc. Aus den heiligen kanonischen Gesetzen wissen wir, daß die Leichname der Gläubigen nicht wieder ausgegraben werden dürfen, wenn sie einmal der Kirche zur Bestattung übergeben wurden. Wir haben vor kurzem erfahren, daß der Leichnam unseres Lords und Ritters Henry de Champernoune in unserer geweihten Erde liegt. Gewissen Menschen jedoch, die ihre Augen mehr auf die vergängliche Pracht dieses Lebens richten als auf das Seelenheil besagten Ritters und den Vollzug der vorgeschriebenen Zeremonien, planen die Wiederausgrabung des genannten Leichnams, was unsere Gesetze nicht zulassen, und wollen ihn gar ohne unsere Erlaubnis an einen anderen Ort schaffen. Darum ermahnen wir
Weitere Kostenlose Bücher