Ein Tropfen Zeit
hundert Männer meiner eigenen Länder, in Bodrugan, in Tregrehan, weiter im Westen und in Devon. Aber nun laßt uns gehen. Wir wollen sehen, wie Julian Polpey sich entschieden hat.«
Es entstand eine allgemeine Bewegung, als die Männer zur Tür gingen.
»Die Flut steigt über die Furt«, sagte Roger. »Wir müssen bei Trefrengy und Lampetho durchs Tal. Ich habe ein Pony für Euch, Sir. Robbie, hast du das Pony für Sir Otto gesattelt? Und meins auch? Beeil dich …« Als der Junge die Leiter herunterkam, flüsterte er ihm ins Ohr: »Bruder Jean läßt den Novizen später holen. Bis dahin behalte ihn hier. Ich weiß noch nicht, wann ich heimkomme.«
Die Männer versammelten sich im Hof vor den Stallgebäuden. Ich wußte, daß ich mitgehen mußte, denn Roger schwang sich neben Bodrugan auf sein Pony, und wo immer er hinging, mußte ich ihm folgen. Wolken jagten über den Himmel, der Wind pfiff, und das Stampfen der Ponys und das Rasseln der Geschirre klang in meinem Ohr. Nie zuvor, weder in meiner Welt noch auf den früheren Streifzügen durch die andere, hatte ich ein so starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit gekannt. Ich war einer der ihren, und sie wußten es nicht. Dies war für mich wohl das entscheidende Erlebnis: Gebunden und dennoch frei zu sein; allein und doch mit ihnen; in meiner eigenen Zeit geboren zu sein und zugleich unerkannt in der ihren zu leben.
Sie ritten durch das an Kilmarth grenzende Gehölz, und oben auf dem Hügel folgten sie nicht der Richtung der jetzigen Straße, sondern ritten über den Gipfel und dann tief ins Tal hinab. Der Weg war so holprig und gewunden, daß die Ponys ab und zu strauchelten. Der Hang war steil, aber da ich mich körperlos fühlte, konnte ich Höhen und Tiefen nicht recht ermessen, und ich überließ mich ganz der Führung der Reiter. Plötzlich sah ich in der Dunkelheit Wasser schimmern; wir ritten fast senkrecht ins Tal und erreichten einen Holzsteg am Fluß, den die Ponys hintereinander überquerten. Danach bog der Pfad nach links ab und folgte dem Flußlauf bis zur Mündung, die sich in der Ferne zum Meer hin öffnete. Ich wußte, daß ich mich auf der anderen Seite des Tales gegenüber vom Polmear Hill befand, aber da ich mich bei Nacht in ihre Welt verirrt hatte, konnte ich die Entfernungen nicht beurteilen. Ich folgte den Ponys, den Blick unverwandt auf Roger und Bodrugan gerichtet.
Der Pfad führte uns an Bauernhäusern vorbei, wo die Brüder Lampetho absaßen; Geoffrey, der ältere, sagte, er werde später nachkommen, und wir ritten weiter bergan, immer weiter auf das Meer zu. Vor den Dünen standen weitere Bauernhäuser, und trotz der Dunkelheit sah ich den Schimmer der Wogen, deren weiße Schaumkämme sich in der Ferne brachen und am Ufer ausliefen. Jemand kam uns entgegen; man hörte bellende Hunde, Fackeln leuchteten auf, und wir befanden uns auf einem anderen, ähnlich wie in Kilmarth von Wirtschaftsgebäuden eingefaßten Hof. Während die Männer von ihren Ponys sprangen, öffnete sich die Tür des Hauptgebäudes, und ich erkannte den Mann, der auf uns zukam, um uns zu begrüßen. Er war am Tag der Audienz des Bischofs Rogers Begleiter gewesen, derselbe, der nachher mit ihm über den Dorfplatz gegangen war.
Roger saß rasch ab und stand als erster neben seinem Freund. Im schwachen Licht einer Laterne an der Haustür sah ich, wie seine Miene sich veränderte, als der Mann ihm hastig etwas ins Ohr flüsterte und dabei auf die hinteren Gebäude wies.
Bodrugan bemerkte es auch, denn als er abgestiegen war, rief er: »Was ist los, Julian? Hast du deine Meinung geändert, seit ich dich letztes Mal sah?«
Roger drehte sich um. »Schlechte Nachrichten, Sir. Aber nur für Ihr Ohr.«
Bodrugan zögerte, dann sagte er rasch: »Wie du willst«, und reichte dem Besitzer des Hauses die Hand. »Ich hatte gehofft, Julian, daß wir in Polpey Waffen und Männer mustern könnten. Mein Schiff liegt unterhalb von Kylmerth vor Anker, du mußt es gesehen haben. Es sind mehrere Leute an Bord, bereit, an Land zu gehen.«
Julian Polpey schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Sir Otto, sie werden nicht gebraucht, und Ihr auch nicht. Vor kaum zehn Minuten erreichte uns die Nachricht, daß der ganze Plan gescheitert ist, bevor wir an die Ausführung gegangen sind. Ein Bote brachte die Kunde.«
Ich hörte, wie Roger dicht hinter den Leuten sagte, sie sollten wieder aufsitzen und nach Lampetho zurückreiten, er werde sehr bald bei ihnen sein. Dann übergab er die Zügel
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