Ein Tropfen Zeit
gewußt, daß dieses Haus Polpey hieß.
Zum Glück spürte ich weder Übelkeit noch Schwindel. Während ich dasaß und wartete, stellte ich fest, daß auch meine Jacke und mein Kopf naß waren, denn es regnete – wahrscheinlich hatte es schon geregnet, als ich Kilmarth vor fast anderthalb Stunden verließ. Ich fragte mich, ob ich meine Geschichte weiter ausspinnen oder alles auf sich beruhen lassen sollte. Das beste war, nichts weiter zu sagen …
Der Postbote kam zurück und kletterte in den Wagen. »Kein besonders schöner Morgen für Ihren Spaziergang. Es hat seit Mitternacht gegossen.«
Jetzt erinnerte ich mich, daß der Regen am Schlafzimmerfenster und der wehende Vorhang mich geweckt hatten.
»Mir macht der Regen nichts aus«, sagte ich. »Ich habe in London viel zu wenig Bewegung.«
»Genau wie ich in meinem Postauto«, sagte er vergnügt. »Aber bei diesem Wetter läge ich lieber warm und gemütlich im Bett, anstatt über die sumpfigen Wiesen zu gehen. So ist das nun mal; und es wäre auch nicht gut, wenn wir alle gleich wären.«
Er hielt am Wirtshaus Zum Schiff, unten am Hügel, und an einem kleinen Haus in der Nähe. Als der Wagen dann schnell die Hauptstraße hinauffuhr, wollte ich nach links ins Tal zurückblicken, aber die hohe Hecke verbarg mir die Aussicht. Wer weiß, durch welchen Morast ich gewatet war. Aus meinen Schuhen quoll Wasser auf den Boden des Wagens.
Wir verließen die Hauptstraße und bogen nach Kilmarth ein.
»Sie sind nicht der einzige Frühaufsteher«, sagte er, als die Einfahrt vor dem Haus in Sicht kam. »Entweder hat irgend jemand Mrs. Collins von Polkerris mitgenommen, oder Sie haben Besuch.«
Ich sah den breiten, offenen Kofferraum des Buicks, der bis obenhin vollgepackt war. Die Hupe ertönte unaufhörlich; die beiden Jungen hielten sich die Ölmäntel über die Köpfe, um sich vor dem Regen zu schützen, und rannten durch den Vorgarten zum Haus hinauf.
Schrecken und Ungläubigkeit wichen einer niederschmetternden Gewißheit.
»Das ist nicht Mrs. Collins«, sagte ich, »es sind meine Frau und die Kinder. Sie sind wohl über Nacht aus London hergekommen.«
10
Es war zu spät, um an der Garage vorbei zum Hintereingang zu fahren. Der Postbote hielt grinsend seinen Wagen an und öffnete die Tür, um mich aussteigen zu lassen. Die Kinder hatten mich ohnehin schon erspäht und winkten.
»Danke, daß Sie mich herbrachten«, sagte ich. »Auf den Empfang hätte ich allerdings verzichten können.« Ich nahm den Brief, den er mir reichte, und trat gefaßt meinem Schicksal entgegen.
»He, Dick«, riefen die Jungen und rannten die Stufen wieder hinunter. »Wir haben geläutet und geläutet, aber du hast nichts gehört. Mama ist wütend auf dich.«
»Ich bin wütend auf sie«, sagte ich. »Ich habe euch nicht erwartet.«
»Es sollte eine Überraschung sein«, sagte Teddy. »Mama sagte, so würde es mehr Spaß machen. Micky hat hinten im Wagen geschlafen, aber ich nicht. Ich habe die Autokarte gelesen.«
Die Hupe war verstummt. Vita stieg aus dem Buick, makellos wie immer, genau richtig angezogen für ein Weekend auf Long Island. Sie hatte eine neue Frisur, mehr Wellen im Haar oder sowas. Es sah ganz gut aus, aber ihr Gesicht wirkte etwas zu voll.
Die beste Form der Verteidigung ist der Angriff, dachte ich. Wir müssen es hinter uns bringen. »Du liebe Zeit«, sagte ich, »du hättest mich wenigstens darauf vorbereiten können.«
»Die Jungen ließen mir keine Ruhe. Gib ihnen die Schuld.«
Wir küßten uns, traten etwas zurück und musterten uns vorsichtig – wie zwei Boxer vor dem Kampf.
»Wie lange seid ihr schon hier?« fragte ich.
»Ungefähr eine halbe Stunde. Wir sind überall herumgegangen, konnten aber nicht rein. Die Jungen läuteten zuerst, dann warfen sie sogar Erdklumpen an die Fenster. Was ist los? Du bist ja klatschnaß.«
»Ich bin früh aufgestanden und spazierengegangen«, sagte ich.
»Wie? Bei dem Regen? Du bist ja verrückt. Sieh mal, deine Hose ist zerfetzt, und in deiner Jacke ist ein großer Riß.« Sie faßte mich beim Arm, und die Jungen kamen heran und gafften. Vita mußte lachen. »Wo in aller Welt hast du dich bloß so zugerichtet?« fragte sie.
Ich schüttelte sie ab. »Kommt«, sagte ich, »wir wollen lieber auspacken. Hier macht es sich nicht so gut. Die Vordertür ist abgeschlossen. Steig ein, und wir gehen zu Fuß zum hinteren Eingang.«
Ich ging mit den Jungen voran, und sie kam im Wagen nach. Als wir vor der Hintertür standen,
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