Ein Tropfen Zeit
Fenster und betrachtete das Paar seltsam aufgewühlt. Nicht weil ich jetzt auch den Spion spielte, sondern weil ich fühlte, daß die Beziehung zwischen den beiden, so leidenschaftlich sie zu anderer Zeit sein mochte, in diesem Augenblick völlig unschuldig war, arglos und beseligend – eine Beziehung, wie ich sie niemals erfahren würde. Plötzlich ließ Bodrugan Isoldas Hände in ihren Schoß sinken.
»Laß mich noch eine Nacht bleiben und nicht an Bord schlafen«, sagte er. »Die Flut könnte gefährlich werden, und vielleicht läuft mein Schiff auf Grund, wenn ich jetzt die Segel hisse.«
»Nicht, wenn du den richtigen Zeitpunkt wählst«, antwortete sie. »Je länger du hierbleibst, desto gefährlicher für uns beide. Du weißt, wie schnell sich Gerüchte verbreiten. Daß du mit dem Schiff herkamst, das jeder kennt, war unvorsichtig genug.«
»Es ist nichts dabei«, erwiderte er. »Ich ankere oft in dieser Bucht, wenn ich hier zu tun habe oder zum Fischen nach Chapel Point fahre. Es war reiner Zufall, daß du ebenfalls herkamst.«
»Nein, du weißt es sehr wohl. Der Verwalter hat dir meinen Brief gebracht, in dem ich schrieb, daß ich hier sein würde.«
»Roger ist ein zuverlässiger Bote«, antwortete er. »Meine Frau ist mit den Kindern in Trelawn, und meine Schwester Joanna ist bei ihnen. Ich mußte es wagen.«
»Ja, dieses eine Mal. Aber nicht zwei Nächte hintereinander. Auch traue ich dem Verwalter nicht so wie du, und du kennst meine Gründe.«
»Du meinst Henrys Tod?« Er runzelte die Stirn. »Ich glaube immer noch, daß du ungerecht urteilst. Henry war ein sterbender Mann. Das wußten wir alle. Wenn jene Arzneien ihn mit Joannas Wissen schmerzlos einschläferten, warum sollten wir das nicht gutheißen?«
»Es war leichtfertig und mit Absicht getan«, sagte sie. »Es tut mir leid, Otto, aber ich kann Joanna das nicht verzeihen, obwohl sie deine Schwester ist. Den Verwalter und seinen Komplizen, den Mönch, hat sie zweifellos gut bezahlt.«
Ich sah Roger an. Er stand immer noch im dunklen Winkel am Fenster, wo er ebensogut hören konnte wie ich, und sein Augenausdruck verriet, daß ihm die Worte kaum behagten.
»Der Mönch ist immer noch in der Priorei«, fuhr Isolda fort, »und sein Einfluß wächst mit jedem Tag. Der Prior ist wie Wachs in seinen Händen, und seine Herde tut, was Bruder Jean befiehlt.«
»Von mir aus«, erwiderte Bodrugan, »mich geht es nichts an.«
»Es könnte dich aber etwas angehen, wenn Margaret seinen medizinischen Künsten ebenso vertraut wie Joanna. Weißt du, ob er deine Familie in der letzten Zeit behandelt hat?«
»Ich habe nichts dergleichen gehört«, antwortete er. »Ich war, wie du weißt, in Lundy, und Margaret findet sowohl die Insel als auch Bodrugan zu windig und zieht Trelawn vor.« Er stand auf und ging auf dem Pfad vor ihr hin und her. Das sorglose Tändeln war vorbei, denn nun bedrängten sie wieder häusliche Probleme. Ich fühlte mit ihnen. »Margaret ist eine echte Champernoune wie der arme Henry«, sagte er. »Ein Priester oder ein Mönch könnten sie zur Abstinenz oder zu unablässigem Gebet überreden, wenn sie wollten. Ich werde aufpassen müssen.«
Isolda erhob sich ebenfalls, trat an Bodrugan heran, legte ihm die Hände auf die Schultern und sah zu ihm auf. Ich hätte sie beide berühren können, wenn ich mich aus dem Fenster gelehnt hätte. Sie waren wohl etwas kleiner als die Menschen unserer Zeit, aber er war breit gebaut und kräftig, hatte einen schönen Kopf und lächelte gewinnend, während sie die Zartheit einer Porzellanfigur besaß und ihre beiden Töchter kaum an Größe übertraf. Sie hielten einander umschlungen und küßten sich, und wieder überkam mich diese eigentümliche Unruhe, das Gefühl, endgültig etwas verpaßt zu haben, etwas, was ich in meiner Zeit nie finden könnte …
»Paß ein bißchen auf!« sagte Isolda. »Joanna ist ihrem Ziel, also der Heirat mit John, immer noch nicht näher gekommen und hat sich infolgedessen zu ihrem Nachteil verändert. Sie könnte seiner Frau den gleichen Dienst erweisen wie damals ihrem Mann.«
»Das würde sie nicht wagen, und John auch nicht«, antwortete Bodrugan.
»Sie wagt alles, wenn sie etwas erreichen will. Auch dir würde sie etwas antun, wenn du ihr im Wege stündest. Sie hat nur den einen Gedanken, John als Aufseher von Restormel und Statthalter von Cornwall zu sehen und sich selbst als seine Frau. Dann könnte sie endlich als Lady Carminowe die Gebieterin der
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