Ein Tropfen Zeit
und die in Tywardreath. Bequemer ist es, wenn ich euch nach Tywardreath fahre.« Bei diesen Worten lächelte ich vor mich hin, denn schon der Name hatte eine besondere Bedeutung – aber nur für mich. Dann bemerkte ich: »Die ist übrigens historisch ganz interessant. Wo heute der Friedhof ist, war früher eine Priorei.«
»Hörst du Teddy«, sagte Vita, »neben der Kirche, in die wir gehen, stand früher ein Priorei. Du sagst doch immer, du interessierst dich für Geschichte. Und jetzt beeilt euch.«
Ich habe selten zwei verdrießlichere Gestalten gesehen – hängende Schultern, lange Gesichter. »Ich gehe nachher mit euch baden«, rief ich, als sie hinausgingen.
Es war mir recht, sie nach Tywardreath zu fahren. Der Morgengottesdienst würde mindestens eine Stunde dauern; ich konnte sie an der Kirche absetzen, den Wagen oberhalb von Treesmill parken und querfeldein zum Steinbruch hinübergehen. Ich wußte nicht, wann sich die nächste Gelegenheit bieten würde, diesen Ort wiederzusehen, und die grasbewachsenen Wälle übten eine unwiderstehliche Faszination auf mich aus.
Während ich Vita und die widerspenstigen Buben in den Sonntagsanzügen zur Kirche fuhr, blickte ich nach Polpey hinüber und fragte mich, was die heutigen Eigentümer wohl gesagt hätten, wenn sie anstatt des Postboten mich in den Büschen hätten herumlungern sehen, oder noch schlimmer, was geschehen wäre, wenn Roger und seine Gäste damals hineingegangen wären. Hätte man mich dann wohl beim Einbruch ins Erdgeschoß ertappt? Die Vorstellung amüsierte mich so, daß ich laut auflachte.
»Was ist denn so lustig?« fragte Vita.
»Nur das Leben, das ich führe«, antwortete ich. »Heute fahre ich euch zur Kirche, und gestern machte ich einen frühen Morgenspaziergang. Siehst du den Sumpf da unten? Da bin ich so naß geworden.«
»Das wundert mich nicht«, meinte sie. »Eine seltsame Gegend für einen Spaziergang. Was suchtest du denn dort?«
»Was ich suchte?« wiederholte ich. »Oh, ich weiß nicht. Eine Jungfrau in Bedrängnis vielleicht. Man weiß nie, wie das Glück es mit einem meint.«
Ich fuhr übermütig den engen Heckenweg nach Tywardreath hinauf. Allein die Tatsache, daß Vita von der Wahrheit nichts wußte, entzückte mich. Es war fast wie früher, wenn ich meine Mutter hinters Licht führte. Das ist wohl einer der Grundinstinkte jedes Mannes. Den Jungen ging es ganz ähnlich, und darum unterstützte ich sie auch bei den kleinen Streichen, die Vita stets mißbilligte: Wenn sie zwischen den Mahlzeiten aßen oder im Bett redeten, nachdem das Licht schon ausgeschaltet worden war.
Ich setzte sie vor dem Friedhofstor ab; die Jungen machten immer noch mißmutige Gesichter.
»Was willst du tun, solange wir in der Kirche sind?« fragte Vita.
»Nur ein bißchen Spazierengehen«, sagte ich.
Sie zuckte die Achseln und ging durch das Tor über den Friedhof. Dieses Achselzucken kannte ich; es bedeutete, daß meine gute Stimmung keineswegs mit der ihren harmonierte. Aber vielleicht brachte der Frühgottesdienst ihr den nötigen Trost.
Ich fuhr nach Treesmill, parkte den Wagen und wanderte zum Steinbruch. Es war ein herrlicher Morgen. Im Tal lag warmes Sonnenlicht. Ich wünschte, ich hätte mir belegte Brote mitgenommen – dann hätte ich statt der einen gestohlenen Stunde den ganzen langen Tag vor mir gehabt.
Ich ging nicht in den Steinbruch, sondern streckte mich im Gras in einer kleinen Mulde aus und fragte mich, wie es hier wohl bei Nacht aussehen würde unter sternbedecktem Himmel oder vielmehr, wie es früher einmal ausgesehen hatte, als das Tal unter Wasser stand. Die Szene Lorenzos und Jessicas aus dem Kaufmann von Venedig fiel mir ein:
»In solcher Nacht
Erstieg wohl Troilus die Mauern Trojas
Und seufzte seine Seele zu den Zelten
Der Griechen hin, wo seine Cressida
Die Nacht im Schlummer lag …
In solcher Nacht
Stand Dido, eine Weid' in ihrer Hand,
Am wilden Strand und winkte ihrem Liebsten
Zur Rückkehr nach Karthago.
In solcher Nacht
Las einst Medea jene Zauberkräuter,
Den Äson zu verjüngen …«
Zauberkräuter, das paßte. Ich war nämlich, während Vita und die Jungen sich für die Kirche zurechtmachten, ins Labor gegangen, hatte vier Maße in das Fläschchen gefüllt und dieses in meine Tasche gesteckt. Es galt, die Gelegenheit zu nutzen …
Es ging alles sehr schnell. Aber es war nicht Nacht, sondern Tag, und zwar ein Sommertag, nach dem westlichen Himmel zu urteilen, den ich vom Fenster in der
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