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Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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Lufthauch empfinden würde, denn in ihrer Welt hatte ich nie existiert und konnte es auch nicht mehr. Sie lebte, und ich war ein körperloser Schatten. Wenn ich mir die Freude gewährte, ihre Wange zu streicheln, so wäre auch das nur Illusion – ich würde sie nicht spüren, und sie würde sich augenblicklich in Nichts auflösen. Mir blieben dann nur die Qualen der Schwindelanfälle, der Übelkeit und der üblichen Gewissensbisse. Zum Glück wurde mir die Entscheidung erspart. Sie winkte noch einmal, blickte mir in die Augen und durch mich hindurch, drehte sich um und kehrte zum Haus zurück.
    Ich folgte der Reitergruppe über das Feld. Isolda und Bodrugan würden noch ein paar Stunden allein bleiben. Vielleicht würden sie miteinander schlafen. Ich wünschte es ihnen. Ich hatte das Gefühl, daß ihre Zeit ablief, ebenso wie die meine.
    Der Pfad führte bergab zur Furt, wo der Mühlbach, der sich durch das Tal wand, auf das Salzwasser der Bucht traf. Jetzt bei Ebbe konnten wir die Furt durchqueren. Roger überließ den Kindern die Zügel, gab den Ponys einen Klaps aufs Hinterteil und trieb sie im Galopp durch das aufspritzende Wasser, so daß die Kinder vor Vergnügen schrien. Dasselbe tat er mit dem Pony, auf dem Robbie und Alice saßen. Alice kreischte so laut, daß man es zu beiden Seiten des Tales hören mußte. Ich wollte ihnen gerade folgen, als Roger etwas herüberschrie – wenigstens glaubte ich, daß er es sei. Ich drehte mich um und wollte sehen, was los war. Hinter mir hatte ein wutschnaubender Autofahrer seinen kleinen Wagen scharf gebremst.
    »Warum kaufen Sie sich kein Hörgerät?« brüllte er und riß das Steuer herum, wobei er fast in den Graben gefahren wäre. Das Auto sauste kurz darauf an mir vorbei; ich blinzelte ihm nach und konnte erkennen, wie die drei Leute auf dem Rücksitz mich empört anstarrten.
    Die Zeit hatte ihr Recht allzu schnell wieder gefordert. Ich stand mitten auf der Treesmill-Straße unten im Tal und lehnte mich über die niedrige Brücke, die über den Sumpf führte. Es wäre um Haaresbreite schiefgegangen, und die ganze Gesellschaft und ich wären im Straßengraben gelandet. Ich konnte mich nicht mehr entschuldigen, denn der Wagen war schon hinter dem Hügel verschwunden. Eine Weile stand ich still und wartete auf eine Reaktion, aber es kam keine. Mein Herz klopfte zwar rascher als gewöhnlich, aber das war nur natürlich und auf den Schreck zurückzuführen. Ich war noch einmal davongekommen. Der Fahrer konnte nichts dafür, es war allein meine Schuld.
    Ich ging hinauf zu der Wegbiegung, an der ich meinen Wagen stehengelassen hatte, und blieb noch eine Weile sitzen, weil ich Angst vor Komplikationen hatte. Solange mein Verstand nicht vollkommen klar arbeitete, konnte ich nicht vor der Kirche erscheinen. Noch sah ich Roger und die Kinder klar vor mir – aber sie gehörten zu jener anderen, verschwundenen Welt. Anstelle des Hauses über den Sandbänken lag wieder der alte Steinbruch da, grasbewachsen und leer bis auf den Ginster und die Blechbüchsen. Bodrugan und Isolda liebten sich nicht mehr. Ich befand mich wieder in der Gegenwart.
    Ich starrte ungläubig auf meine Uhr. Die Zeiger deuteten auf halb zwei. Der Morgengottesdienst in der St. Andreas-Kirche war seit anderthalb Stunden zu Ende.
    Ich ließ schuldbewußt den Motor an. Die Droge hatte mich getäuscht und die Zeit unglaublich in die Länge gezogen. Ich konnte doch unmöglich länger als eine halbe Stunde in jenem Haus gestanden haben, und der Gang bis zur Furt hatte höchstens zehn Minuten gedauert! Die ganze Episode war mir außerordentlich kurz vorgekommen. Als ich den Hang hinauffuhr, machte ich mir über die Wirkung der Droge mehr Gedanken als über die Aussicht, Vita schon wieder mit einer unglaubwürdigen Ausrede gegenüberzutreten. Warum die Verlangsamung der Zeit? fragte ich mich. Dabei fiel mir ein, daß ich niemals auf meine Uhr sah, wenn ich in der Vergangenheit weilte, ich empfand kein Bedürfnis danach. Darum konnte ich nicht feststellen, wie die Zeit verstrich. Jene Sonne war nicht meine Sonne und jener Himmel nicht der meinige. Es gab keine Kontrolle, keine Möglichkeit, die Wirkungsdauer der Droge zu ermessen. Wie immer, wenn etwas schiefging, gab ich Magnus die Schuld. Er hätte mich darauf hinweisen müssen.
    Ich fuhr zur Kirche, aber natürlich war niemand mehr da. Vita hatte sicher voll Ärger mit den Jungen gewartet und dann jemand gebeten, sie heimzufahren. Oder sie hatte ein Taxi

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