Ein Tropfen Zeit
Büschen tagelang, ja wochenlang liegen, ohne daß man ihn entdeckte. Auch das sumpfige Gelände, auf dem der Bahnhof stand, das ausgedehnte, flache Gebiet zwischen Par und dem Nachbardorf St. Blazey lag noch zum größten Teil brach, war menschenleer – außer den Reisenden in der Zeit, die im Geiste auf dem Deck eines Schiffes auf blauer See wandelten, während ihre Körper in Wirklichkeit durch Gestrüpp und Gräben stolperten.
Ich kehrte zum Bahnhof zurück, fand den Schalter geöffnet und erhielt auch den ersten Beweis, daß Magnus tatsächlich angekommen war. Der Beamte hatte nicht nur seine Fahrkarte, sondern erinnerte sich sogar noch an den Eigentümer. Groß, sagte er, etwas graues Haar, freundlich lächelnd, ohne Hut, mit Sportjacke, dunklen Hosen und einem Spazierstock. Nein, er habe nicht gesehen, in welche Richtung Magnus gegangen sei, nach dem er den Bahnhof verlassen hätte.
Ich stieg in den Wagen und fuhr den Hügel hinauf bis zu der Stelle, wo ein Fußweg nach links abbog. Den konnte Magnus genommen haben, und so folgte ich ihm und ging auf den Steinbruch zu. Es war warm und dunstig, ein Zeichen, daß der Tag heiß werden würde. Der Bauer, dem das Gelände gehörte, hatte sicher schon am frühen Morgen ein Tor geöffnet, denn jetzt grasten Kühe am Hang zwischen den Ginsterbüschen, und sie trotteten mir neugierig bis zum Rand des überwucherten Steinbruchs nach.
Ich suchte ihn sorgfältig ab, jeden Winkel, jede Mulde, fand aber nichts. Ich blickte über die Bahnlinie hinweg ins Tal, in das Dickicht im ehemaligen Flußbett. Es glich einem Teppich mit seidenen Fäden in allen Schattierungen von Goldgrün. Wenn Magnus dort sein sollte, konnten nur Spürhunde ihn finden.
Jetzt wußte ich, daß ich tun mußte, was schon viel eher hätte getan werden müssen: Ich mußte zur Polizei gehen, wie jeder andere, dessen Gast seit mehr als zwölf Stunden vermißt wurde. Ich erinnerte mich, daß sich in Tywardreath ein Polizeirevier befand, kehrte müde wieder um und fuhr ins Dorf. Ich fühlte mich unsicher und schuldig – wie alle Menschen, die das Glück haben, außer bei geringfügigen Verkehrssünden niemals etwas mit der Polizei zu tun zu bekommen, und die Geschichte, die ich dem Beamten vortrug, klang ziemlich kleinlaut und schuldbewußt.
»Ich möchte eine Vermißtenmeldung erstatten«, sagte ich und sah dabei vor mir ein Plakat, von dem das finstere Gesicht eines Verbrechers herunterstarrte, und darunter in riesigen Buchstaben das Wort Gesucht. Ich nahm mich zusammen und erzählte, was am vergangenen Tag vorgefallen war.
Der Beamte war überaus freundlich und entgegenkommend. »Ich hatte nicht das Vergnügen, Herrn Professor Lane persönlich kennenzulernen«, sagte er, »aber wir haben natürlich alle von ihm gehört. Sie müssen eine sehr unruhige Nacht verbracht haben.«
»Ja«, sagte ich.
»Bei uns liegt keine Unfallmeldung vor, aber ich werde in Liskeard und St. Austell anfragen. Möchten Sie eine Tasse Tee, Mister Young?«
Ich nahm das Angebot dankend an, während er telefonierte, denn ich spürte eine Übelkeit im Magen, wie sie Menschen überfällt, die vor einer Krankenstation warten, in der ein guter Freund oder naher Verwandter einer Notoperation unterzogen wird. Ich hatte keinen Einfluß mehr auf das Geschehen. Ich konnte nichts mehr tun. Der Beamte kam zurück.
»Keine Unfallmeldung«, sagte er. »Man benachrichtigt jetzt die Streifenwagen und die anderen Reviere. Sie fahren am besten nach Kilmarth zurück und warten, bis Sie von uns hören. Es könnte ja sein, daß Professor Lane sich nur den Fuß verstaucht hat und die Nacht auf einem Bauernhof verbrachte, obwohl die heute schon fast alle ein Telefon haben. Auf jeden Fall ist es merkwürdig, daß er Sie nicht angerufen hat, um Ihnen Bescheid zu sagen. Ich nehme an, es ist noch nie vorgekommen, daß er das Gedächtnis verlor?«
»Nein, nie. Er war vollkommen gesund, als ich vor ein paar Wochen in London mit ihm essen ging.«
»Nun, machen Sie sich keine allzu großen Sorgen«, sagte er, »sicher klärt sich am Ende alles sehr einfach auf.«
Ich ging zum Wagen, immer noch mit dem schlechten Gefühl im Magen, und fuhr zur Kirche. Offensichtlich wurde gerade eine Chorprobe abgehalten, denn ich hörte die Orgel schon von draußen. Darum setzte ich mich auf eines der Gräber nahe der Mauer am Obstgarten. Hier hatte einst der Schlafsaal der Mönche gelegen, mit dem Blick nach Süden auf die Bucht, und daneben das Gästezimmer, in
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