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Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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Dutzend.«
    »Ich glaube, wir fahren Sie jetzt am besten nach Kilmarth zurück, Mister Young«, schlug der Inspektor vor. »Sie werden natürlich auf dem laufenden gehalten. Sie wissen wohl, daß man Sie bitten wird, bei der offiziellen Feststellung der Todesursache als Zeuge auszusagen.«
    »Ja«, antwortete ich. Ich fragte mich, was nach der Autopsie mit Magnus' Leiche geschehen würde. Aber das war schließlich nebensächlich. Jetzt war alles nebensächlich.
    Als der Inspektor mir die Hand schüttelte, sagte er, er werde wahrscheinlich am Montag vorbeikommen und mir weitere Fragen stellen, falls ich zu meinen ersten Aussagen noch etwas hinzuzufügen hätte. »Sehen Sie, Mister Young«, erklärte er, »man könnte Amnesie oder sogar Selbstmord vermuten.«
    »Amnesie?« wiederholte ich. »Das ist Gedächtnisverlust, nicht wahr? Sehr unwahrscheinlich. Und Selbstmord liegt bestimmt nicht vor. Der Professor war der letzte, der so etwas getan hätte, und er hatte absolut keinen Grund dazu. Er freute sich auf das Wochenende und war bester Laune gewesen, als ich mit ihm telefonierte.«
    »Nun ja, genau diese Aussage will der Untersuchungsrichter von Ihnen hören.«
    Der Wachtmeister setzte mich vor dem Hause ab, und ich ging ganz langsam durch den Garten die Treppe hinauf. Ich goß mir einen dreifachen Whisky ein und warf mich im Ankleidezimmer auf das Sofa. Wahrscheinlich schlief ich kurz danach ein, denn als ich aufwachte, war es Spätnachmittag oder früher Abend, und Vita saß mit einem Buch in der Hand neben mir auf dem Stuhl. Die letzten Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster, das nach Westen auf den Innenhof führte.
    »Wie spät ist es?« fragte ich.
    »Ungefähr halb sieben«, sagte sie und setzte sich zu mir auf das Sofa.
    »Ich hielt es für ratsam, dich in Ruhe zu lassen«, fuhr sie fort. »Der Arzt, der dich im Leichenschauhaus sah, hat am Nachmittag angerufen und gefragt, wie es dir geht, und ich sagte, daß du schliefest. Er meinte, ich solle dich so lange wie möglich schlafen lassen, das sei das Beste für dich.« Sie legte ihre Hand in meine, und es war tröstlich, mich wieder als Kind behandelt zu wissen.
    »Wo hast du die Jungen hingeschickt?« fragte ich. »Es ist ungewohnt ruhig im Haus.«
    »Mrs. Collins war so nett und hat sie nach Polkerris mitgenommen, wo sie den Tag bei ihr verbringen sollen. Ihr Mann wollte nach dem Mittagessen mit ihnen zum Fischen gehen und sie gegen sieben Uhr herbringen. Sie müssen jeden Augenblick kommen.«
    Ich schwieg einen Augenblick. Dann sagte ich: »Dies alles darf ihnen nicht die Ferien verderben. Magnus wäre das gar nicht recht.«
    »Mach dir keine Sorgen um sie oder um mich«, sagte sie. »Wir kommen schon zurecht. Mich bedrückt viel mehr, daß du einen solchen Schock erhalten hast.«
    Ich war dankbar, daß sie nicht weiter auf das Thema einging und die ganze Sache nicht noch einmal zur Sprache brachte – wie das geschehen konnte, was Magnus wohl getan hatte, warum er den Zug nicht herankommen hörte, warum der Lokomotivführer ihn nicht gesehen hatte – es hätte ja doch zu nichts geführt.
    »Ich müßte eigentlich mal telefonieren«, sagte ich, »die Leute an der Universität müssen es erfahren.«
    »Der Inspektor kümmert sich um alles«, sagte sie. »Er kam noch einmal wieder, kurz nachdem du hinaufgegangen warst, und wollte Magnus' Koffer sehen. Ich sagte, du habest ihn gestern ausgepackt und nichts gefunden. Er fand ebenfalls nichts und ließ die Sachen im Schrank hängen.«
    Ich erinnerte mich an die Flasche in meinem Koffer und an die Papiere über Bodrugan. »Was wollte er sonst noch?«
    »Nichts. Er sagte nur, wir sollen alles ihm überlassen, und er werde dich am Montag anrufen.«
    Ich legte den Arm um sie und zog sie zu mir herab. »Danke für alles, Liebling«, sagte ich. »Du bist mir ein großer Trost. Ich kann immer noch nicht klar denken.«
    »Laß es nur«, flüsterte sie. »Ich wünschte, ich könnte mehr sagen oder tun.«
    Wir hörten die Jungen in ihrem Zimmer reden. Offenbar waren sie durch den hinteren Eingang gekommen. »Ich gehe zu ihnen«, sagte Vita, »sie wollen sicher ihr Abendessen haben. Soll ich dir deins heraufbringen?«
    »Nein, ich komme runter. Irgendwann muß ich mich ja doch wieder normal benehmen.«
    Ich blieb noch eine Weile liegen und sah, wie das letzte Sonnenlicht durch die Bäume fiel. Dann nahm ich ein Bad und zog mich um. Trotz des Schocks und der Unruhe dieses Tages wirkte mein zuvor blutunterlaufenes Auge

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