Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
im Gänsemarsch über eine Wiese oder eine Straße gingen. Das Problem ist nur, ich komme mir schon jetzt ziemlich lächerlich vor, wenn ich zum Beispiel versuche, einen Blick auf das Gesicht meiner Tochter zu erhaschen, mich frage, wie oft mein Sohn (außer im Urlaub) an mich denkt, und gleichzeitig das geistige Auge meiner Frau auf mir spüre, die mich nach Lebenszeichen absucht. Aber ohne jeden Groll. Ich spiele meine Rolle, indem ich ihr als Projektionsfläche diene für das, was sie sich an Zufriedenheit gestattet. Verglichen mit so vielen anderen, haben wir keine Probleme. Ich habe keine Klagen, also kann auch sie sich nicht beklagen. Es ist lächerlich, nicht zu wissen, warum man sich lächerlich vorkommt.
Meine Frau liest eben ein Buch über Einwanderer und fragt sich, was sie noch tun könnte, um ihnen zu helfen. Hin und wieder liest sie uns ein paar Zeilen laut vor. Meine Kinder machen ein betroffenes Gesicht, aber sie haben den Trost des Wissens, daß sie nichts tun können, außer noch netter zu sein zu den dunkleren Kindern in ihrer Schule. Ich bin mir sicher, daß sie bereits netter zu ihnen sind als die meisten anderen Kinder. Sie versuchen, sich ein schlechtes Gewissen einzureden, weil ihre Mutter es von ihnen erwartet, sind sie doch Mitglieder einer Gesellschaft, in der alle Verantwortlichkeit für das, was schlecht ist auf dieser Welt, geteilt wird. Natürlich sagt sie das nie direkt. Sie spricht die zitierten Sätze nur klar und deutlich aus, hebt am Ende die Stimme, als wären es Fragen, und sieht uns dann an, als erwartete sie eine Antwort.
Wenn sie darüber spricht, was schlecht ist in der Welt, runzle ich
die Stirn, was entweder bedeuten könnte, daß ich es auch schockierend finde und etwas dagegen getan werden sollte, oder daß es mir lieber wäre, sie würde mich nicht dauernd bei meinem Spionagefilm stören — der Plot ist sowieso schon kompliziert genug. Ich könnte aber auch die Stirn runzeln, weil es mir lieber wäre, sie würde es mir nicht so leicht machen, immer wieder vorauszuahnen, wie sie als alte Frau aussehen wird, weil es mir lieber wäre, sie würde ihre Haare nicht so kurz geschnitten tragen und sie hätte mir die Ehre erwiesen, ein wenig von dem Zeug in den Tuben und Gläsern aufzulegen, die im Lauf der Jahre immer seltener ersetzt werden mußten, und sie laufen wirklich, die Jahre. Es ist ein Zeichen der Befreiung, das weiß ich, daß man so genommen wird, wie man ist, und das scheint mir auch ganz richtig zu sein — wobei es allerdings bei der Frage, wie weit wir es uns gestatten sollten, so gesehen zu werden, wie wir wirklich sind, sicherlich einige Argumente dafür gibt, bis zur abschließenden Beantwortung ein wenig den Schein zu wahren. Ich spreche hier natürlich ausschließlich für mich selbst. Also schließe ich diesen Gedankengang mit der Beobachtung ab, daß sie mehr Falten hat, als sie in ihrem Alter haben sollte, oder etwa nicht? Sie kommen natürlich davon, daß sie sich zu viele Sorgen um andere Menschen macht, und wie viele mehr wären es noch, wenn diese anderen auch mich einschließen würden? Mein Stirnrunzeln bleibt also, während ich die oben erwähnten Möglichkeiten durchgehe. Es ist meine Art, auf ihr stummes Mustern und ihre fragende Stimme zu reagieren beziehungsweise sie zu ignorieren. Aber ehrlich gesagt, ich habe mir mein Stirnrunzeln im Spiegel angeschaut, und es könnte alles oder nichts bedeuten. Manchmal denke ich mir, daß es nicht mehr ist als die Imitation eines Stirnrunzelns, nur der Versuch, in mir das Gefühl zu wecken, wie sehr ich mich sorgen könnte, wenn ich es nur genug wollte. Wenn ich Afrikaner oder Asiaten auf der Straße oder sonstwo anlächle, wie ich es manchmal tue, wenn ich mich daran erinnere, was meine Frau mir eingeschärft hat, habe ich oft das Gefühl, es wäre ihnen lieber, ich würde es nicht tun, weil ich mich mehr um meinetwillen als um ihretwillen einschmeichle. Allerdings lächeln sie immer zurück, sie sind ja so höflich. Ein besorgtes
Stirnrunzeln wäre zwar angebrachter, würde ihnen aber das Gefühl vermitteln, ich wollte sie am liebsten wieder dorthin schicken, woher sie gekommen sind, oder ähnliches. Vielleicht wäre ihnen das sogar lieber — eine Bestätigung, daß es eine ganze Menge Arschlöcher gibt, mit denen sie zurechtkommen müssen, und die gibt es ja wirklich. Wahrscheinlich erzählen sie es ihren Kindern, und die erwidern dann, daß es in ihrer Schule Kinder gibt, die besonders nett
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