Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
suchen, und weil ich, vorausgesetzt, ich wüßte, welche es ist, wenn ich sie gefunden hätte, ernsthafte Zweifel habe, ob ich sie behalten wollte, wenn ich wüßte, daß ich sie habe. Manchmal habe ich großes Mitleid mit meinem Land, vor allem in Zeiten wie diesen, da es von allen Seiten mit kritischen Augen betrachtet wird und überall diese Bilder von seinen heruntergekommenen Innenstädten usw. zu sehen sind. Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Wunsch haben sollte, mich auf eine freudvollere oder stolzere Art patriotisch zu fühlen. Vielleicht bin ich mir meiner selbst nicht sicher genug. Nein, das kann es nicht sein. Wie gesagt, meine Frau hat mit Patriotismus nichts am Hut, und sie ist sich so ziemlich jeder Sache sicher, vor allem ihrer selbst.
Wie auch immer, es dauerte einige Zeit, bis das Fähnchen wieder verschwand, denn meine Frau wollte Adrian und Virginia nicht fragen, wer von den beiden es dorthin gesteckt hatte und warum, und sie wollte auch nicht, indem sie die Fahne selbst entfernte, eine Gefühlsaufwallung herabsetzen, die sie im Zuge der geistigen Reifung schnell wieder hinter sich lassen würden. Meine Kinder haben diesem Fähnchen wahrscheinlich kaum Beachtung geschenkt. Ich schon, sogar eine ganze Menge, weil der einzige andere Union Jack in unserer Straße hinter dem Türklopfer eines Hauses steckte, dessen Bewohner auf ihrem Auto Aufkleber mit Sprüchen wie »Kauft britisch« oder »Vorwärts mit Großbritannien«
oder so ähnlich hatten. Als ich sie eines Tages die Straße hochkommen sah und dachte, sie würden uns besuchen wollen, entfernte ich das Ding in Windeseile. (Warum hatte ich diese Fahne dann überhaupt gekauft? Aus zwei Gründen: erstens, weil es sich lohnen könnte, über dieses Thema zu schreiben, und zweitens, weil ich sehen wollte, wieviel hübscher dieses Mädchen, das die Dinger an einem Stand am Trafalgar Square verkaufte, sein würde, wenn sie lächelte. Sehr viel, ist die Antwort darauf. Ich sehe sie jetzt noch vor mir, die langen, glänzend schwarzen Haare, die müden, grünen Augen. Sie konnte nicht viel älter gewesen sein als vierzehn.)
An diesem Abend zeigte sich bei Tisch eine deutliche Erleichterung im Gesicht meiner Frau, denn sie ging davon aus, daß eins ihrer Kinder diese Phase im Zuge der geistigen Prüfung hinter sich gebracht hatte. Nachdem Virginia das Hauptgericht (den einzigen Gang) aufgetragen hatte, brachte sie (soll heißen meine Frau) das Thema so ganz nebenbei zur Sprache: »Vaterlandsliebe ist auf ihre Art ein völlig normales Gefühl, solange es bedeutet, sie auch bei anderen anzuerkennen, und dazu führt, daß man das eigene Land zu einem lebenswerteren machen will. Die Schwierigkeiten fangen dann an, wenn die Leute denken, sie sind anderen überlegen, und deshalb meinen, sie müßten Fahnen schwenken. Zum Beispiel, erlaubt einem denn sein Gewissen ...?«
Ich wagte, sie zu unterbrechen, um die Verwirrung (oder tödliche Langeweile) meiner Kinder etwas abzumildern, und sagte oder murmelte: »Banner erst machen den Manne, oder aber sie halten ihn auf ...«
Mein Grinsen blieb unbeobachtet wie auch das Kauen nebenbei, und ein schneller Blick um den Tisch, eins, zwei, drei, sagte mir, daß man mich nicht richtig verstanden hatte, zum Glück, denn das Wortspiel war mir nicht so recht gelungen. Meine Frau schaute ergeben-finster drein, hatte ich doch ihren Gedankengang unterbrochen; mein Sohn zerteilte sein Essen, als suchte er unter all diesen Bekömmlichkeiten nach einer netten Überraschung; und meine Tochter ... Ich weiß es wirklich nicht. Das Zucken an ihrem Mundwinkel hätte von etwas verursacht sein können, das sie mit
ihrer Zunge anstellte, aber sie schaute mich bereits an, als mein Blick sie erreichte, und sie hatte so einen wissenden Ausdruck im Gesicht, wobei ihre Gedanken bestimmt nicht bei diesem lebenswerteren Land waren, das sie eigentlich gestalten wollen sollte, schon eher bei dem Manne und was ihr Gewissen ihr erlauben würde, wenn er einfach nicht mehr aufzuhalten wäre. (Letzteres ohne jeden finsteren Hintergedanken.) Sie sollte auf meine Frau hören, dachte ich und wünschte mir, ich hätte ihre Ausführungen über den Patriotismus nicht unterbrochen, nachdem ich schon der Auslöser dafür gewesen war. Ich hoffte, es so einrichten zu können, daß dieses Thema in meinem Leben nie mehr zur Sprache kam. Dieses Jahr hatte meiner Frau bereits mehr als genug Gelegenheit zu Ausführungen in diesem Bereich gegeben, so unter
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