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Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Titel: Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Chadwick
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auf eine etwas abgehackte, erstickte Art, so daß sie sich verpflichtet fühlte, meine Hand am Lenkrad zu berühren, um sie ruhig zu halten, wenn Sie so wollen. Und dann hörte ich die beiden Sätze sehr deutlich gesprochen, und als ich mich umdrehte, beugte Mrs. Bradecki sich mir zu.
    »Englisch oft auch sehr schlecht«, flüsterte sie.
    »Schlecht?« wiederholte ich. »Die meiste Zeit sind wir absolut grauenhaft.«
    Dies brachte Maria zum Lachen, und ich riß heftig das Lenkrad herum, so daß Maria noch einmal ihre Hand auf die meine legte und sie, so kam es mir vor, ein wenig länger dort ruhen ließ. Mrs. Bradecki hatte das bestimmt gesehen. Aber in dem Augenblick bogen
wir bereits ab in das Tannenwäldchen, wo das Vernichtungslager gewesen war.
     
    An einer Seite des Parkplatzes befand sich ein niedriges Gebäude, in dem ein paar Fotos und Karten ausgestellt waren. Auf die Instandhaltung wurde wenig Mühe verwendet. Es gab auch einen Kiosk, der Führer und Postkarten, Zigaretten und Süßigkeiten verkaufte. Einige Augenblicke standen wir am Auto und wußten nicht so recht, ich welche Richtung wir gehen sollten. Dann deutete Maria auf ein Schild hinter dem Gebäude, und wir gingen darauf zu.
    »Moment mal«, sagte sie plötzlich. »Ich habe im Auto etwas vergessen.«
    Ich folgte ihr, um die Tür aufzuschließen, und wollte eben den Schlüssel ins Schloß stecken, als sie in die Richtung der beiden Frauen nickte, die eben um die Ecke bogen, und sagte: »Nein, sie müssen allein gehen.«
    Und so folgten wir ihnen in gewisser Entfernung. Wir gingen an der Reihe von Betonschwellen entlang, die die Gleisstrecke der Züge markierten, die in weniger als einem Jahr achthunderttausend Menschen aus ganz Europa hierher zu ihrer Vernichtung gebracht hatten. Das Lager hatte ausschließlich diesen Zweck. Hier und dort lagen auf den Schwellen kleine Sträuße mit Frühlingsblumen und ein oder zwei winzige israelische Fahnen. Wir erreichten die Stelle, wo ein Bahnhof gebaut worden war, der aussehen sollte wie jeder beliebige Bahnhof irgendwo. Hier mußten sie sich ausziehen und wurden zu den Gaskammern geführt, danach wurden ihre Leichen in Massengräber geworfen, mit Benzin übergossen und angezündet. Jetzt gab es nur noch einen Weg aus Pflastersteinen, der zu einem schlichten Denkmal führte: zwei Reihen von Betonstelen, auf denen horizontal weitere Betonplatten lagen, bedeckt mit der Darstellung verrenkter und gekrümmter Gestalten. Dahinter lagen Hunderte von Gesteinsbrocken in allen Formen und Größen, einige beschriftet mit den Namen von Städten, eingebettet in Betonumfassungen oder einfach in das weiche, frische Gras, als hätte man sie willkürlich dort hingepflanzt wie einen
Wald aus verkümmerten, versteinerten Bäumen. Auch hier lagen kleine Blumensträuße auf den Steinen, und Leute gingen umher und lasen die Inschriften. Maria und ich trennten uns, und ich sah den beiden Frauen zu, die langsam nebeneinander zwischen den Steinen hindurchgingen und dann weiter zum Waldrand. Es war ein kühler Nachmittag, die Wolken hingen hoch in einem leuchtend blauen Himmel. Frisches Gras und Unkraut und wilde Blumen sprossen in dem braunen Altrasen, und in der Entfernung sangen Vögel. Es war eine Szene alltäglicher Ruhe und Schönheit an einem angenehmen Frühlingstag. Wieder schaute ich zu den Frauen hinüber. Sie standen dicht beieinander, und ich fragte mich, wie lange sie hier bleiben wollten. Maria kam von hinten auf mich zu und sagte: »Wenn meine Eltern hier gestorben wären ...« Aber sie beendete den Satz nicht.
    Ich konnte mir nicht vorstellen, ob ich hierhergekommen wäre, wenn Menschen, die ich geliebt hatte, hier gestorben wären. Es wäre etwas ganz anderes, als ihre Gräber auf einem Friedhof zu besuchen. Ich schüttelte den Kopf. Maria faßte mich am Arm und deutete zu den Frauen. Mrs. Bradecki schien in den Armen der anderen Frau zu liegen, dann löste sie sich wieder von ihr und bedeckte die Augen mit den Händen und hob den Kopf, und ihre Hände glitten zum Mund, während sie in Richtung der Bäume davontaumelte. Mrs. Konopka ging nun wieder auf das Denkmal zu und schien nach uns zu suchen.
    »Ich glaube, wir sind fertig«, sagte Maria.
    Wir gingen ebenfalls zum Denkmal, und als Mrs. Konopka uns sah, drehte sie sich um und schaute zu Mrs. Bradecki, die, nun mit seitlich herabhängenden Händen, am Waldrand stand. Als ihre Freundin wieder auf sie zukam, streckte sie ihr die Hände entgegen, und dann hakten

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