Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
aus, mit blonden Haaren, die ihm in die Stirn fielen, und einem verschmitzten Gesichtsausdruck, ein junger Mann, der sich seiner Wirkung bewußt war und auch des Erfolgs, der ihm im Überfluß zuteil werden würde. Sie wollte mir unbedingt sagen, wie sehr sie ihn liebe und daß nur das ihr wichtig sei. Als ich sie eher allgemein nach
Polens politischer Zukunft fragte, zuckte sie nur die Achseln, als wäre die ohne Bedeutung für sie. Und dann erzählte ich ihr von mir, meinen Kindern und der neuen Enkelin und den Tänzerinnen in der Wohnung unter mir und von meinem Vater, der Lebensmittelhändler gewesen war und immer dachte, er würde es nicht so recht schaffen, und überrascht war, daß aus mir überhaupt etwas wurde. Ich erzählte ihr von meiner Frau, daß wir uns getrennt hatten, aber jetzt recht gut miteinander auskamen. Ich erzählte ihr von meiner Arbeit und meiner Zeit in Suffolk und den Leuten, die ich dort gekannt hatte, und der Kirche, die ich besucht hatte, und meiner Glaubenslosigkeit. Ich erzählte ihr alles von mir. Und während wir redeten, wurde mir bewußt, daß die Frauen hinter uns verstummt waren. Ich schaute nicht wieder in den Spiegel. Wir taten so, als wären wir allein. Wie vertraut wurde mir der Flaum blaßgoldener Haare auf ihrem Unterarm.
Als wir am Hotel ankamen, ging Maria mit den Frauen ein Taxi suchen. Sie verabschiedeten sich nicht von mir. Ich erwartete, daß Maria zurückkommen würde, aber sie stieg mit einem äußerst knappen Winken ebenfalls ein. Auch sie hatte sich nicht verabschiedet, als wäre das nicht nötig, als wäre die Kluft zwischen meiner Vergangenheit und ihrer grenzenlosen Zukunft einfach zu groß. Ich hatte nicht gefragt, ob Mrs. Bradecki vorhatte, hier zu bleiben. Unser Rückflug war für den nächsten Tag geplant, aber nun war sie, wieder einmal, nicht mehr meine Angelegenheit. Ich hatte alles getan, was man von mir hatte erwarten können. Ich wußte nicht, wann ich sie wiedersehen würde. Ich wußte nicht, was ich Foster sagen sollte. Ich wußte, wo sie ihren Wohnungsschlüssel versteckt hatte, und konnte so ab und zu hinuntergehen und nachschauen, ob alles in Ordnung war. Ich konnte die Fenster öffnen und frische Luft hereinlassen und ein wenig Ordnung machen. Ich konnte mich um alle Rechnungen kümmern. Falls sie zurückkehrte, wäre alles bereit für sie.
An diesem Abend besuchte ich ein Konzert in der Nationalen Philharmonie, das der Cellist Yo-Yo Ma gab. Er spielte mit großem Enthusiasmus, er schwitzte und schnitt Grimassen und schien
überhaupt nicht zu bemerken, daß einzelne Haare seines Bogens rissen und abstanden. Ich fragte mich, wie viele es eigentlich waren und ob sie immer noch von Pferden kamen. Wahrscheinlich hatte er einen Ersatzbogen in seiner Garderobe. Die Pianistin, die ihn begleitete, hielt hervorragend mit, aber natürlich hatten sie ausführlich miteinander geprobt. An dem Konzert war absolut nichts auszusetzen, soweit ich das beurteilen konnte. Die Leidenschaft war echt und angemessen, aber ohne das Können hätte sie wohl wenig gebracht, andersherum ebenso, wie ich vermute. Ich nahm mir vor, nach meiner Rückkehr eine Platte von ihm zu kaufen, und das habe ich inzwischen auch getan. Es ist Elgars Cello-Konzert, und ich lege es ziemlich oft auf und stelle mir dabei vor, wie die gerissenen Haare sich über den Tönen kräuseln. Es wird immer schöner, je öfter ich es höre, und deshalb lege ich es nicht zu oft auf, es könnte sich ja abnutzen, die unglaubliche Traurigkeit oder Sehnsucht oder was immer es verströmt.
Und während ich an diesem Abend der Musik lauschte, fragte ich mich, ob Maria Mrs. Konopkas Bericht über ihre Kindheit gelesen hatte. Natürlich, sie muß ihn einfach gelesen haben. Sie wußte sicher, daß ihre Mutter ihn mir gegeben hatte. Und so haben wir, was wir an diesem Tag erlebt hatten, mit denselben Augen gesehen, waren kurz eins gewesen. Und die Musik scheint, wie sie es inzwischen manchmal tut, wenn sie die Traurigkeit durchsticht, eine unmögliche Wiedergutmachung zu erflehen im Angesicht dieser entsetzlichen Monstrosität. Und dann erinnere ich mich vielleicht an Maria neben mir. So persönlich. Ich kann nicht anders. Könnte ich es doch nur.
KAPITEL SIEBEN
I nzwischen bin ich wieder in der Gegenwart. Viele Monate sind vergangen, und ich muß mir überlegen, was ich mit all den Papieren machen soll, die mich umgeben. Getippte Seiten und das Geschreibsel in meinem Notizbuch. Überall nur lose
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