Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
Enden. Es wäre gut, wenn es nicht schon so lange her wäre und ich es wieder zum Leben erwecken könnte, so wie es damals war. Aber die Zeit verrinnt, und ich sollte nicht versuchen, sie umzumodeln, die Fäden zu einem Muster zu verweben oder etwas daraus zu machen, was davon getrennt oder darüber steht, wie eine Bedeutung etwa, die man daraus ziehen oder auf die man zeigen kann, oder als könnte ich »das Halfter der Zeit abstreifen«, wie es in dem Buch hieß, das ich unlängst gelesen habe. Eigentlich kann ich nichts anderes tun, als mir selber das alles wieder ins Bewußtsein zu rufen. Ich muß deshalb der Versuchung widerstehen, zu überarbeiten, was ich vor so vielen Jahren schrieb, als die Kinder noch klein waren, und mich so darzustellen, als wäre ich weniger unwitzig oder albern oder wie ich mich damals unabsichtlich porträtierte, als ich ja wohl noch glaubte, ich würde mich als ziemlichen Pfundskerl zeigen, wie’s so schön heißt; könnte ja auch sein, daß ich mir in, sagen wir mal, zehn Jahren, das Ganze noch einmal anschaue und sage: »O Gott, das kannst du alles streichen.« Wobei es natürlich sein kann, daß ich in zehn Jahren nicht mehr da bin, oder nicht mehr ganz da, um ein wenig mit den Wörtern zu spielen. Also gebe ich mir jetzt um so mehr Mühe, alles richtig zu machen, weil ich mir zum Beispiel vorstelle, daß Ann es eines Tages in die Finger bekommen könnte, und allmählich glaube ich sogar, daß ich es eher für sie schreibe als nur für mich selbst, denn dann hätte ich
keinen Grund, aufrichtig zu sein oder mir mehr Mühe zu geben. Am besten glaubt man vielleicht, daß Wahrhaftigkeit und Rücksichtnahme auf andere das eigentlich Wichtige sind, viel wichtiger, als daß andere gut von einem denken, und dazu noch eine gewisse, nicht bewußt erstrebte Fröhlichkeit. Und falls, wenn ich nicht mehr bin, das alles, was mit ziemlicher Sicherheit der Fall sein wird, seinen Weg findet über den Müllwagen in den Verbrennungsofen, um dann zu etwas Sinnvollem recycelt zu werden, dann ist das für mich völlig in Ordnung, so wie alles völlig in Ordnung war für mich, bevor ich geboren wurde.
Dies nur als Ausrede, warum ich mit der Geschichte nicht vorankomme. Hin und wieder, wie ich vielleicht noch nicht ausführlich genug berichtet habe, litt ich an Atemlosigkeit, und zweimal hatte ich Herzklopfen, wie’s so schön heißt, was ich allerdings als Verdauungsprobleme fehlinterpretierte. Dann hatte ich, drei Tage vor meiner Abreise nach Polen, einen Anfall von, wie ich erst danach erfuhr, Angina pectoris — eins von einer ganzen Reihe von Herzproblemen, deren Namen mir seitdem nur allzu vertraut sind. Es war, das muß ich sagen, schmerzhaft und auch ein sehr schockierendes Erlebnis. So, daß mir das Herz fast stehengeblieben wäre. Aber es ging vorüber, und ich schrieb es den Gaviscon-Tabletten zu, die ich den ganzen Abend über gekaut hatte. Ich redete mir sogar ein, ich sei kerngesund oder, wie es so schön heißt, gegen alles gefeit, egal, ob’s regnet oder schneit, auch wenn ich mir jetzt, mit dem Ausblick auf schwarze Wolken und Dauerregen, eingestehen muß, daß ich es besser hätte wissen müssen.
Das sagte mir zumindest der Arzt, als ich zwei Wochen nach meiner Rückkehr aus Polen nach meinem zweiten Myokard-Infarkt im Krankenhaus landete. Obwohl ich Jenners ein Telegramm schickte mit der Bitte, er solle eine Petition einreichen, führte das zu einer dreifachen Bypass-Operation und einer strengen Diät, kombiniert mit dem, was der Arzt unverfroren als völlig normales Leben bezeichnete: Vermeiden Sie Übergewicht, nervöse Anspannung, seelische Belastungen, Angst, Wut, Freude, Kummer und Sorgen, und, das versteht sich ja von selbst, mäßigen Sie sich in allen
Dingen. Tabak und Alkohol wurden auch mehrmals erwähnt, wenn ich mich recht erinnere. Ängstlich und bekümmert, all das zu vermeiden, anstatt so entspannende Sachen zu tun wie rauchen und trinken, scheint allerdings irgendwie ein Widerspruch in sich zu sein, auch wenn ich nicht so recht weiß, worauf genau der Finger zu legen wäre — wie eine der Krankenschwestern eines denkwürdigen Abends sagte, als sie nach meinem Puls suchte, und ich dachte, beschissen, wie ich mich fühlte, und mit einer Heidenangst bereits auf die Leichenbahre wartend, die hereingeschoben würde, um mich fortzukarren, daß es vielleicht überhaupt keinen Puls mehr zu fühlen gäbe und es nur noch ein paar Sekunden dauerte, bis der Rest von mir das
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