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Ein unbeschreibliches Gefuehl

Ein unbeschreibliches Gefuehl

Titel: Ein unbeschreibliches Gefuehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Schlueter
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einstige Liebe zu dem verheirateten Heidegger zu denken, der zu eben diesem Verlassen nicht bereit gewesen war.
    Weil in der Liebesbegegnung die Welt als Ort des Zwischen wegfällt, stehen Liebende einander hier wirklich unmittelbar gegenüber – ohne den Schutz jenes Zwischenraums mit seinen vielen Themen, Inhalten und Angelegenheiten. Diese unmittelbare Begegnung kann nicht anders sein als von verzehrender Hitze, wie Arendts Metapher vom Verbrennen ja auch bestätigt. Eine solche, die Welt verzehrende Liebe kann nicht auf Dauer angelegt sein. Sie ist pures »Ereignis«. Es liegt auf der Hand, dass die Institution der Ehe, in der die Liebe angeblich bewahrt werden soll, dieses Ereignis »zerreibt«, sobald die Ehe nicht mehr auf Gesetze und wirtschaftliche Erwägungen gegründet ist wie früher, sondern ganz und gar auf das Ereignis. »Inzwischen«, so notierte Arendt in ihr »Denktagebuch«, »ist die Ehe zur Institution der Liebe geworden, und als solche ist sie noch um ein weniges hinfälliger als die meisten Institutionen der Zeit. Die Liebe wiederum ist seit ihrer Institutionalisierung ganz und gar heimat- und schutzlos geworden.«
    Hannah Arendts Liebeskonzept mutet merkwürdig romantisch an. Woraus soll diese pure, von allen innerweltlichen Bezügen absehende Liebe bestehen, worauf soll sie sich richten? Selbst wenn es wahr ist, dass die Liebe mehr meint als die Summe der Eigenschaften der geliebten Person, bleibt doch eine merkwürdige Leerstelle, wenn, wie bei Arendt, alles Vermittelnde zwischen den Liebenden wegfällt. Was ist dann dieses »Wer des Anderen«, das aus dem reinigenden Feuer der Liebe auftaucht, während alles andere, alles Welthafte verbrannt ist? Die Gefahr, dass dieses »Wer« in Wahrheit eine Leerstelle darstellt, eine Leinwand für eigene Projektionen, ist zumindest nicht auszuschließen. Was wird da im Anderen geliebt, wenn es nichts sein kann, was zur Welt gehört?
    Und doch steckt in Arendts Gedanken ein wahrer Kern. Er ist in diesem Buch schon öfter sichtbar geworden: die Tatsache nämlich, dass immer wieder um die Wahrheit und Intensität der Liebe gerungen werden muss, weil Raum und Zeit sich mit dieser Intensität letztlich nicht vertragen. Jenes Ringen zeigte sich im Rhythmus von Verschmelzung und Entfremdung, wie ihn die altgriechischen Mythen beschrieben. Ebenso im ekstatischen Bemühen der Mystiker und anderen Gottsucher des Mittelalters. Es zeigte sich im vorurteilslosen Blick der Phänomenologen und in der Du-Haltung des Ichs bei Martin Buber. Es wurde überall da sichtbar, wo im Namen der puren Ereignishaftigkeit gegen die »zerriebenen« Formen der Liebe protestiert wurde, wie Arendt sagen würde. In ihrer eigenen Begrifflichkeit und verbunden mit einer politischen Theorie hat die Denkerin an dieses Ringenmüssen erinnert.
    Hannah Arendt selbst hat zweimal geheiratet. Ihre zweite Ehe dauerte bis zum Tod Heinrich Blüchers im Jahr 1970 an. Arendt trauerte sehr um ihren Mann. An ihre Freundin Mary McCarthy schrieb sie, dass nun, da der lange befürchtete tödliche Herzinfarkt eingetreten sei, die schwer lastende Angst um Heinrich einem merkwürdigen Schweben gewichen sei, einer beängstigenden Haltlosigkeit. »Wenn ich auch nur ein paar Monate voraus denke, wird mir schwarz vor Augen. Ich sitze jetzt in Heinrichs Zimmer und schreibe auf seiner Maschine. Das gibt mir etwas Halt.« Es scheint so, als ob aus dem Ereignis dieser Liebe eine Geschichte geworden war – etwas, das erzählt werden konnte und das einen Zufluchtsraum bot, noch über den Tod hinaus.

Die Sprache der Liebenden
    W as tun wir, wenn wir von Liebe sprechen? Können wir sicher sein, dass der andere uns versteht? Meinen zwei Menschen überhaupt dasselbe, wenn sie zueinander »Ich liebe dich« sagen?
    Zu den Gewissheiten, die Anfang des 20. Jahrhunderts erschüttert wurden, gehörte auch diejenige, dass die Sprache ein verlässliches, für alle Beteiligten identisch funktionierendes Verständigungsmittel sei. Der Schweizer Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure hatte zu Beginn des Jahrhunderts in epochemachenden Arbeiten die Sprache als System von Zeichen definiert, die jeweils aus zweierlei bestehen: aus dem, das bezeichnet (signifiant – Lautbild, Bedeutungsträger), und aus dem, das bezeichnet wird (signifié – Inhalt, Bedeutung). Ihre Bedeutung, so sagt de Saussure, beziehen die Zeichen nicht aus der Sache, für die sie stehen, sondern daraus, welch spannungsvolle Beziehung sie innerhalb des

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