Ein unbeschreibliches Gefuehl
Anläufen, eben fragmentarisch, umkreist Barthes die Szene, die sich dabei immer ändert: »Es ist ein Wort, das gern die gesellschaftlichen Tapeten wechselt.« Einmal entsteht durch dieses Wort eine innige Zweiheit, eine Dyade, die »ohne Anderswo« ist (hier denkt man an Hannah Arendt). Dann aber konstatiert Barthes nüchtern: »Ist das erste Geständnis einmal abgelegt, besagt ein ›ich liebe dich‹ nichts mehr, es greift lediglich auf rätselhafte Weise (so leer ist sie!) die alte Botschaft wieder auf.«
Dann wiederum betrachtet Barthes die verschiedenen Möglichkeiten, auf »Ich-liebe-dich« zu antworten. Einfach »Ich dich auch« zu sagen wäre kraftlos, stellt Barthes fest. Denn »Ich-liebe-dich« ist nicht nur ein Satz, sondern – gesprochen – zugleich eine Handlung. Die Antwort darauf müsste dieselbe Formulierung enthalten, um ebenfalls eine Handlung zu sein, sagt Barthes. Die Aussage »Ich dich auch« besitzt hingegen keinerlei Handlungscharakter.
Wie ist es nun mit den Zurückweisungen? »Die wirkliche Zurückweisung … lautet: ›keine Antwort‹«, sagt Barthes. »Ich werde umso sicherer für nichtig erklärt, wenn ich nicht nur als begehrender Partner, sondern auch als sprechendes Subjekt abgelehnt werde« – indem ich keiner Antwort gewürdigt werde.
Und schließlich stellt Barthes fest: Wer »Ich-liebe-dich« sagt, der verausgabt die Worte bis an die Grenze des Möglichen. Der begibt sich an die äußerste Grenze der Sprache, dorthin, »wo die Sprache selbst (und wer sonst täte das an ihrer Stelle?) erkennt, dass sie ohne Garantie ist, ohne Netz arbeitet«.
Vielleicht muss man derlei Fragmente öfter lesen, um eigenes Erleben darin wiederzuerkennen: den Raum, der sich durch das »Ich liebe dich« um zwei Menschen auftut und der alles andere ausschließt; das Gefühl der Demütigung, wenn man auf die Liebeserklärung keine Antwort bekommt; und auch das Gefühl, mit einer solchen Erklärung ohne Netz und doppelten Boden dazustehen, ungesichert, auf nichts gestützt als auf sich selbst, also auf die eigene Sprache, das eigene Bewusstsein, das sich sprechend-handelnd einem anderen und dessen Reaktion aussetzt.
Sprache ist vieldeutig, so lässt sich ganz unakademisch aus all dem schlussfolgern. In ihrem Gebrauch spielen wir mit Symbolen, über deren Bedeutung wir letztlich keine Macht haben. Wir reihen uns ein in eine lange Kette von Sprachszenen, wir sind Teil eines gewachsenen und stetig sich verändernden Sprachsystems, dem wir uns anvertrauen, wenn wir uns äußern. Was folgt daraus? Dass wir nicht glauben sollen, unser Sprechen und ein wie immer gearteter Sachverhalt seien identisch. Dass wir einkalkulieren müssen, missverstanden zu werden. Dass wir in der Versuchung stehen, Missverständnisse in Kauf zu nehmen. Dass wir hin und wieder darüber nachdenken sollten, wie wir sprechen – und trotzdem nicht daran verzweifeln müssen, wenn wir das Gefühl haben, unsere Worte blieben hinter dem zurück, was wir doch eigentlich sagen wollten.
»Ich will nicht darüber sprechen, weil ich fürchte, es wird Literatur daraus.« Diesen Satz schrieb Roland Barthes in das aus kleinen Karteikarten bestehende »Tagebuch der Trauer«, das er einen Tag nach dem Tod seiner Mutter 1977 begann und bis zum Juni 1978 führte. Mit seiner Mutter hatte er 62 Jahre lang zusammengelebt. Ihren Tod überlebte er nicht einmal drei Jahre: Im März 1980 starb er in Paris an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Sein »Tagebuch der Trauer« wurde 2010 aus dem Nachlass herausgegeben.
»Die Geburt des Lesers ist zu bezahlen mit dem Tod des Autors, « hatte Barthes 1968 in seinem Aufsatz »Der Tod des Autors« gesagt. Gemeint war natürlich nicht der physische Tod, sondern der metaphorische: Literarische Texte sollen nicht vor dem Hintergrund der Biographie des Autors gedeutet werden. Denn mit dem Übergang eines Textes in die Schriftlichkeit ist die Stimme des Autors zerstört, und die endlose Geschichte der Überlieferung hat begonnen, in deren Verlauf jeder Leser sein eigenes Verständnis des Textes erschafft und damit selbst zu dessen Autor wird.
Wenn wir sprechen, wenn wir über unsere Liebe sprechen, sollten wir diese Erkenntnisse nicht ganz beiseiteschieben, die Roland Barthes in seinen Texten so vielfältig umkreist hat: dass zum Reden und Verstehen immer zwei gehören und dass die Sprache der Raum ist, den wir bewohnen und der uns zugleich Grenzen setzt.
»Die Dame kennt den Code«
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