Ein Universum aus Nichts
der Größenordnung, in der diese Asymmetrie wahrscheinlich entstanden ist, noch nicht umfassend und empirisch in allen Details bestimmt haben. Dennoch wurden aufgrund der derzeit besten Vorstellungen zu dieser Physik eine ganze Reihe verschiedener plausibler Szenarien erforscht. Auch wenn sie sich in den Einzelheiten unterscheiden, zeigen sie alle die gleichen allgemeinen Merkmale. Die mit Elementarteilchen im ursprünglichen Hitzebad verbundenen Quantenprozesse können ein leeres Universum – oder gleichermaßen ein ursprünglich symmetrisches Universum aus Materie und Antimaterie – fast unmerklich, aber unausweichlich in Richtung auf ein Universum treiben, das von Materie oder von Antimaterie beherrscht wird.
Doch falls es sich sowohl in die eine als auch in die andere Richtung hätte entwickeln können: War es dann nur einem durch die Umstände bedingten Zufall zu verdanken, dass unser Universum schließlich von Materie dominiert wurde? Stellen wir uns vor, wir stehen auf der Spitze eines hohen Berges und stolpern. Die Richtung, in die man fällt, ist nicht vorherbestimmt, sondern eher zufallsabhängig – je nachdem, in welche Richtung man schaut oder an welchem Punkt seiner Vorwärtsbewegung man strauchelt. Möglicherweise ist unser Universum in ähnlicher Weise beeinflusst worden, und auch wenn die Gesetze der Physik feststehen, wurde der tatsächliche Verlauf der Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie durch irgendeine zufällige Ausgangsbedingung in Gang gebracht – so wie beim Sturz auf dem Berg, wo das Gravitationsgesetz gilt und dafür sorgt, dass man fällt, während die Sturzrichtung auf einen Zufall zurückzuführen sein mag. In diesem Fall würde unsere Existenz wieder einmal ein durch die Umstände bedingter Zufall sein.
Von dieser Ungewissheit unabhängig ist jedoch die bemerkenswerte Tatsache, dass es für Quantenprozesse wegen einer Eigenschaft der zugrunde liegenden physikalischen Gesetze möglich ist, das Universum in eine Richtung zu treiben, die sich vom Zustand der Merkmalslosigkeit entfernt. Der Physiker Frank Wilczek, einer der ersten Theoretiker, die diese Möglichkeiten erforscht haben, hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass er 1980 in einem Aufsatz im Scientific American zum Thema der Asymmetrie von Materie und Antimaterie im Universum genau die Worte benutzt hat, die ich weiter oben in diesem Kapitel verwendet habe. Nachdem er dargestellt hatte, wie auf der Basis unserer neuen Kenntnisse der Teilchenphysik eine Asymmetrie von Materie und Antimaterie im frühen Universum auf plausible Weise entstanden sein könnte, merkte er noch an, dass damit eine Möglichkeit gegeben war, über die Frage nachzudenken, warum es statt nichts überhaupt etwas gibt: Das Nichts ist instabil.
Wilczek wollte darauf hinaus, dass der gemessene Überschuss an Materie gegenüber Antimaterie auf den ersten Blick als Hindernis für die Vorstellung eines Universums erscheint, das aus einer Instabilität im Vakuum des leeren Raums hervorgehen könnte, wo das Nichts einen Big Bang erzeugte. Wenn die Asymmetrie nach dem Big Bang jedoch dynamisch entstehen konnte, war diese Barriere abgeräumt. Er formulierte es so:
Man kann spekulieren, dass das Universum im symmetrischsten aller möglichen Zustände begann und dass in einem solchen Zustand keine Materie existierte; das Universum war ein Vakuum. Dazu existierte ein zweiter Zustand, und darin gab es Materie. Im zweiten Zustand lag eine geringfügig kleinere Symmetrie vor, aber auch ihre Energie war geringer. Schließlich tauchte ein kleiner Bereich mit weniger symmetrischer Phase auf und wuchs rasch an. Die mit dem Übergang freigesetzte Energie fand ihre Form in der Entstehung von Teilchen. Dieses Ereignis könnte man mit dem Big Bang gleichsetzen … Die Antwort auf die alte Frage, warum es statt nichts überhaupt etwas gibt, lautet dann, dass (das) »Nichts« instabil ist.
Doch bevor ich fortfahre, fallen mir erneut die Ähnlichkeiten auf, die sich zwischen der gerade geschilderten Asymmetrie von Materie und Antimaterie einerseits und der Diskussion ergeben, die wir im Verlauf unseres jüngsten Workshops über unser aktuelles Verständnis von der Natur des Lebens im Universum und dessen Ursprung geführt haben. Meine Worte lauteten anders, doch die grundsätzlichen Fragen sind bemerkenswert ähnlich: Welcher spezielle physikalische Vorgang in den frühen Zeiten der Erdgeschichte könnte zur Entstehung der ersten sich replizierenden Biomoleküle und
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