Ein unmoralischer Handel
trotz aller Geduld und Kunstfertigkeit, egal wie sehr zu schätzen er sie gelernt hatte - niemals hätte die Gräfin ihm ihre wahre Identität enthüllt. Und was seine Träume anging …
Bitterkeit wallte auf, stieg höher und höher. Sie hatte ihn viel tiefer getroffen, nicht nur seine Träume. Sie hatte ihn direkt ins Herz getroffen, wie immer. Hatte ihm den Schutzschild weggerissen, seine verletzlichste Stelle gefunden und bloßgelegt. Er hatte nicht einmal gewusst, dass er so verletzlich war, bis sie es ihm aufgezeigt hatte. Dafür konnte er sie nur verfluchen - sie war wirklich die letzte Frau auf Erden, der gegenüber er freiwillig irgendeine Art von Verletzlichkeit zugegeben hätte.
Doch das war noch nicht einmal das Schlimmste. Die tödlichste Wunde - aus der er noch immer innerlich blutete - war, dass sie ihm, obwohl sie ihn so gut kannte, nicht vertraut hatte. Das schmerzte von allem am meisten.
»Ich habe mich immer gefragt, wann du anfängst, genug von deinem Landleben zu bekommen. Sag mir jetzt, wo ich dir die Augen für die Freuden der Stadt geöffnet habe, trägst du dich ja vielleicht mit dem Gedanken …« Er hörte nicht einmal mehr, was er da redete, als er ihren Charakter Stück für Stück in den Schmutz zog. Viele fanden, dass er eine zu scharfe Zunge hatte; jetzt gebrauchte er sie wie ein Skalpell, um sie zu verletzen, um auch sie bluten zu lassen. Wie sie wusste, wo sie ihn am besten treffen konnte, so wusste auch er alles über ihre empfindlichsten Stellen. Wie zum Beispiel ihre Größe, die Tatsache, dass sie sich für reizlos hielt. Und für zu alt. Er berührte jeden verletzbaren Punkt von grimmiger Genugtuung erfüllt, wenn er merkte, wie sie sich verkrampfte und die Zähne zusammenbiss.
Als die Musik verklang, hatte er zumindest einen Hauch seines Stolzes gerettet, und der rote Schleier, der ihm sein Gehirn und seinen Blick vernebelt hatte, lichtete sich so weit, dass er die Tränen in ihren Augen erkennen konnte.
Die Musik hörte auf. Sie blieben stehen. Sie stand reglos und still in seinen Armen, mit unnachgiebiger Miene, doch ihr ganzer Körper zitterte ob der unterdrückten Gefühle.
Unerschrocken begegnete sie seinem Blick. Hinter dem Schimmer ihrer Tränen sah er wie in einem Spiegel seine eigene Wut und Verletztheit.
»Du hast nicht die geringste Ahnung, wovon du sprichst.«
Jedes Wort kam klar, sorgfältig ausgesprochen und voller Gefühl. Bevor er reagieren konnte, befreite sie sich brüsk aus seinen Armen, holte tief Luft, drehte sich um und stürmte davon.
Allein blieb er mitten auf der Tanzfläche zurück.
Immer noch wütend. Immer noch verletzt.
Immer noch erregt.
Am nächsten Morgen saß Alathea betäubt vor Angst am Frühstückstisch. Sie wusste, dass das Beil schon bald fallen würde, doch sie konnte die Kraft nicht aufbringen, um fortzulaufen. Sie fühlte sich wie ausgelaugt, hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. Äußerlich die Ruhe zu bewahren war das Gebot der Stunde, doch ihre Familie anzulächeln und so zu tun, als knabberte sie an ihrem Toast, war alles, wozu sie fähig war. Ihr Magen fühlte sich hohl an, aber sie konnte keinen Bissen herunterbringen. Sie schaffte es gerade, an ihrem dünnen Tee zu nippen. Ihr Kopf fühlte sich ruhig an und gleichzeitig seltsam leer, als ob der Versuch, Gabriels verletzende Worte auszublenden, ihre Gedanken ebenfalls ausgeblendet hätte.
Sie wusste, dass sie keinen klaren Gedanken fassen konnte - stundenlang hatte sie es versucht, doch jeder Versuch hatte mit Tränen geendet. Sie wollte nicht daran denken, was geschehen war, und erst recht nicht an das, was noch geschehen könnte.
Sie stocherte an ihrem Toast herum, ließ das liebevolle Geplauder ihrer Familie über sich hinwegschwappen und zog ein wenig Trost aus seiner Wärme.
Dann blieb Crisp neben ihr stehen und räusperte sich. »Mr Cynster ist da, M’lady, und möchte Sie sprechen.«
Alathea schaute auf. Hier? Nein - er würde doch nicht … »W…« Sie hielt inne und räusperte sich. »Welcher Mr Cynster, Crisp?«
»Mr Rupert, Miss.«
Also doch.
Serena machte eine kurze Geste. »Frag ihn, ob er schon gefrühstückt hat, Crisp.«
»Nein! - Ehm, ich meine, das hat er sicher.« Alathea erhob sich und legte ihre Serviette neben den Teller. »Er denkt bestimmt nicht an Schinken und Würstchen.«
»Na ja, wenn du meinst …« Serena runzelte die Stirn. »Aber es scheint mir doch ein recht ungewöhnlicher Zeitpunkt für einen Besuch zu sein.«
Alathea
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