Ein unmoralischer Handel
bat sie um kaltes Wasser, tauchte eine Ecke des Handtuchs hinein und hielt sich, als keine der Damen hinsah, die kalte Kompresse an die geschwollenen Lippen.
Sie traute sich kaum hinzuschauen, doch sie war sich sicher, dass er Spuren hinterlassen hatte. Als hätte er sie verbrüht, so hatte es sich angefühlt. Gott sei Dank war oberhalb ihres Kragens nichts zu sehen. Allein der Gedanke an seinen Mund auf ihren Brüsten ließ heiße Wellen durch ihren Körper wogen. Sie konnte spüren, wie seine Hände sie streichelten, wünschte, sie täten es noch immer.
Im Spiegel sah sie sich lange selbst tief in die Augen, dann schnitt sie eine Grimasse. Sie schlug den Blick nieder, tauchte das Handtuch erneut ein und legte es, nach einem erneuten Blick in die Runde, auf ihre immer noch geröteten Lippen.
Sie war es nicht gewöhnt, sich selbst etwas vorzumachen - sie konnte nicht so tun, als hätte sie nicht gewusst, dass er seine Belohnung einfordern würde, falls er etwas Neues entdeckt hatte; die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Fall eintreten würde, war sehr hoch gewesen. Sie war in dem Bewusstsein in die Laube gegangen, dass ihr Protest sich vermutlich als zu schwach erweisen würde, um ihn davon abzuhalten, alles zu bekommen, was er haben wollte.
Sie hatte Recht behalten, doch für Reue war es nun zu spät. Aber in Wahrheit war sie sich nicht einmal sicher, ob sie überhaupt so etwas wie Reue empfand.
Das änderte allerdings nichts an der Tatsache, dass sie jetzt in großen Schwierigkeiten steckte.
Er dachte, sie spielten ein Spiel - eines, bei dem er ein versierter Spieler war, das ihr hingegen unbekannt war. Sie kannte einige der Regeln, doch längst nicht alle; sie kannte einige der Schachzüge, aber nicht genug. Sie hatte die Scharade begonnen, doch jetzt hatte er das Steuer übernommen und schrieb ihre Rolle so um, dass sie seinen eigenen Bedürfnissen entsprach. Seinem Begehren, seiner Lust.
Sie bemühte sich, angemessen verärgert zu sein; der Gedanke, dass er sie begehrte, verhinderte allerdings jeden Anflug von Ärger. Die Vorstellung faszinierte, ja verlockte sie. Keine Schlange hätte je so überzeugend sein können, kein Apfel so verführerisch.
Kein Ritter so unüberwindlich fordernd.
Letzteres entlockte ihr einen Seufzer - sie konnte unmöglich das Ruder herumreißen. Sie hatte die Scharade begonnen, jetzt musste sie ihre Rolle spielen. Ihrem Handlungsspielraum waren dabei enge Grenzen gesetzt.
Kritisch musterte sie ihr Spiegelbild, dann entschied sie mit der ihr eigenen Umsicht Folgendes: Solange sie mit ihm zusammen war, war sie nicht Lady Alathea Morwellan, sondern seine geheimnisvolle Gräfin. Es war die Gräfin, die er küsste, und es war die Gräfin, die seine Küsse erwiderte.
Nicht sie.
Es war nichts passiert; es würde nichts passieren.
Sie ließ das Handtuch sinken. Anscheinend hatte er ihre Küsse - und den ganzen Rest von ihr - doch als eine sehr befriedigende Belohnung empfunden. Sie hatte seinen Hunger gespürt - seinen Appetit; sie war sich sicher, dass er das nicht vortäuschte. Was sich zwischen ihnen abgespielt hatte, hatte ihm in keinster Weise Schaden zugefügt, und selbst wenn es beunruhigend, ja regelrecht aufwühlend war, so trug sie ihrerseits auch keinerlei Schaden davon.
Und die Tatsache, dass allein schon ihre Küsse einen der anspruchsvollsten Liebhaber des ton zu befriedigen vermochten, war eine unsichtbare Feder, die sie stolz an ihrem Jungfernhäubchen tragen wollte - das Häubchen, das sie ihr restliches Lebenslang aufbehalten würde.
Noch einmal warf sie einen Blick in den Spiegel, betrachtete kritisch ihr Gesicht und ihre Lippen. Beinahe normal.
Ihre Lippen verzogen sich sarkastisch. Unmöglich, die Scheinheilige zu spielen und sich vorzumachen, dass sie dieses Interludium nicht genossen hätte - dass sie die Spannung, die Erregung, die weit über alles hinausging, was sie je erfahren hatte, nicht empfunden hätte. In dem Moment, als er sie in seinen Armen gehalten, sie für sich beansprucht hatte, hatte sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben ganz als Frau gefühlt.
Ja, er sorgte dafür, dass sie sich wie eine andere Frau fühlte, als sie es eigentlich war - oder ließ er sie schlicht und einfach Dinge empfinden, die sie nicht fühlen sollte, ein Verlangen, von dem sie nicht einmal gewusst hatte, dass sie dazu fähig war? Sie war neunundzwanzig, ledig, eindeutig eine alte Jungfer. In seinen Armen hatte sie sich überhaupt nicht alt gefühlt - sie hatte sich
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