Ein unsittliches Angebot (German Edition)
ersten Kind auch.« Ihre Augen, mit denen sie Martha jetzt betrachtete, waren hellblau und von dicken Wimpern umrahmt. Sie hätte wirklich hübsch sein können, wenn ihr Gesicht nicht so vom Kummer gezeichnet gewesen wäre. »Ich habe das bedauert. Die Kirche ist ein großer Trost.« Sie errötete, als hätte sie Martha ein Geheimnis anvertraut, und sah weg.
Ihre weiche, dicke Hand hätte Martha ebenso gut das schuldbewusste Herz herausreißen können. Mrs James Russell war mehr als unglücklich. Niedergeschlagen und verlassen war sie, und sie vertraute ihr winziges Geheimnis jemandem an, der ihre Söhne um ihr Geburtsrecht bringen würde. »Sicher vermissen Sie Ihre Kirche in Derbyshire. Bestimmt freuen Sie sich schon darauf, dorthin zurückzukehren.«
Skrupellosigkeit legte ihr die Worte in den Mund – Skrupellosigkeit würde eines Tages vielleicht alles sein, was von ihr übrig war – und die andere Mrs Russell machte auf dem restlichen Weg keine Anstalten mehr, Martha ins Vertrauen zu ziehen.
»Er will sich hier eine Geliebte zulegen, und sie soll in Derbyshire bleiben.« Miss Sheridan rutschte im blau-silber gestreiften Sessel vor, die Hände verschränkt. »Ihr Zimmermädchen sagt, er bringt sogar manchmal Geliebte mit nach Hause.«
»Aber dafür kann eine Frau sich scheiden lassen, oder nicht?« Mrs Russell, die neben ihm auf dem Sofa saß, krallte die Finger in die Armlehne, sodass die Knöchel weiß hervortraten. Ein Beobachter würde meinen, sie sei es, die zwei Nächte nicht geschlafen hatte, so verhärmt war ihre Miene. »Für eine Geliebte unter ihrem eigenen Dach?«
»Sie kann nirgendwo hin.« Welch ein beeindruckender Wissensquell, solch ein Zimmermädchen. »Ihr Vater nimmt sie nicht zurück, und sie hat keine Brüder, zu denen sie kann.«
Theo lehnte sich im Sofa zurück. Er vermisste dieses Zimmer, den Ort so vieler profitabler Studien, und auch einiger anderer Dinge. Von diesem Sofa hatte sie sich in jenem rosafarbenen Morgenmantel erhoben, an dem Tag, an dem er eine solche Geste am dringendsten nötig gehabt hatte.
»Ich wusste, dass sie unglücklich ist.« Arme Mrs Russell. Sie erkannte, dass sie nicht so herzlos war, wie es nötig gewesen wäre. »Aber ich wusste nicht, wie schrecklich ihre Umstände sind.«
Ohne darüber nachzudenken, hob er die Hand und legte sie ihr auf den Rücken, streichelte sie ermutigend. Miss Sheridan wandte instinktiv den Blick ab. Sie wusste, was zwischen ihnen gewesen war. Eine freundschaftliche Berührung konnte sie in Anbetracht dessen wohl kaum schockieren.
»Miss Gilliam sagt, er hat immer die eine oder andere Geliebte.« Das Mädchen sah wieder Mrs Russell an. »Sie sagt, er hat seine Frau nicht angerührt, seit der zweite Sohn geboren wurde.«
Theo spürte, wie die Wirbelsäule der Witwe weiter in sich zusammensackte. Er setzte sich auf. »Ihr Glück, würde ich sagen. Hat ihr Mädchen auch gesagt, ob er sich an die Dienstbotinnen herangemacht hat?«
»Niemandem gefällt die Art, wie er sie ansieht, aber sie hat nichts davon gehört, dass er sich irgendwelche Freiheiten herausgenommen hätte.«
Mrs Russell legte das Gesicht in die Hände. »Ich wünschte beinahe, er hätte es«, sagte sie zwischen ihren Fingern hindurch. »Wenn er keine Bedrohung für die Dienstbotinnen ist, dann betrüge ich diese Kinder grundlos. Und wer sagt mir, dass es nicht besser für seine Frau und seine Söhne wäre, wenn er erben und mit seiner Geliebten hier einziehen würde?«
»Martha.« Was war aus ihrem eisernen Willen geworden? »Du weißt nicht, ob er keine Bedrohung ist, und das Risiko darfst du nicht eingehen. Das hast du mir selbst gesagt, wie ich mich erinnere. Du hast den Frauen von Seton Park die Treue geschworen. Du musst tun, was für sie das Beste ist, ohne Rücksicht auf irgendjemand anderen.«
»Ich weiß. Aber ich hatte erwartet, dass es sich glorreich und rechtschaffen anfühlen würde. Ich hatte keine Ahnung, dass es so entsetzlich verwirrend werden würde.«
Miss Sheridan räusperte sich, um sie an ihre Anwesenheit zu erinnern. Er nickte ihr zu. »Haben Sie noch mehr herausgefunden?«
»Nur, dass er vermutet, dass Mrs Russell ihre Umstände vortäuscht. Aber seine Frau glaubte nicht daran.«
Die Wirbelsäule der Witwe entfernte sich von seiner Hand; sie stand auf und strich sich die Röcke glatt. »Danke, Sheridan. Gut gemacht. Ich hoffe, du wirst uns beiden weiter Bericht erstatten, wenn du etwas Neues in Erfahrung bringst.« Sie hielt inne
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