Ein unsittliches Angebot (German Edition)
schnitt ihm den Weg ab. »Ich schlage vor, Sie setzen sich wieder.« War das seine Stimme? Gütiger Himmel! Beinahe hätte er sich selbst erschreckt. »Diese Leute haben große Mühen auf sich genommen, um hierherzukommen, und Sie werden sich anhören, was sie zu sagen haben.« Eines Tages sollte er sich Mr Rivers’ unterschwellige Autorität zulegen. Heute würde er mit diesem Tonfall vorliebnehmen müssen, der von kaum gezügelter Gewalt sprach. Er wartete, bis Mr Russell sich wieder hingesetzt hatte, bevor er zu seinem eigenen Platz zurückkehrte.
»Gewisse Dinge werden wir nicht tolerieren.« Rivers fuhr fort, als hätte es keine Unterbrechung gegeben. »Das hier ist eine anständige Gemeinde. Diejenigen von uns, die Dienstboten unterhalten, sind an deren Wohlergehen interessiert. Dergleichen Abscheulichkeiten ungestraft zu dulden, würde unser aller Namen beschmutzen.«
»Ich sehe nicht, wie das, was in diesem Haus vor so langer Zeit passiert ist, irgendjemanden von Ihnen etwas angeht.« Russell ließ einen trotzigen Blick umherschweifen.
»Mich geht es zum Beispiel etwas an.« Ein erkahlender Mann mit Brille zu Mrs Russells Linken, den Theo nicht kannte, meldete sich zu Wort. »Sie haben ein Haus entehrt, dem ich lange Zeit stolz verbunden war. Ihre jetzige Anwesenheit hier, nachdem Sie es weder bei Mr Russells Hochzeit noch bei seiner Beerdigung für nötig befunden haben, zu kommen, bestärkt genau das habgierige Misstrauen, das Sie mir gegenüber bereits geäußert haben. Ich fürchte, es wird mir unmöglich sein, Seton Park weiterhin rechtlich zu vertreten, falls Sie sich hier niederlassen.«
»Die Sonntagspredigten werden Sie auch jemand anderem übertragen müssen, fürchte ich.« Teuflisches Schlitzohr, dieser Atkins. Als wenn er nicht ohnehin vorhätte, die Pfarre abzugeben. Das hatte er ihm erst vor einer Viertelstunde erzählt.
»Das Misstrauen , das hier angesprochen wird, bereitet mir Unbehagen.« Mrs Landers, zu seiner Linken, sprach sehr vornehm; akribisch drehte sie jedes Wort um wie ein Juwelier einen ungeschliffenen Edelstein. »Wagt er es, Zweifel an der Integrität der Witwe des verstorbenen Mr Russell anzudeuten?«
»Niemand kann einem Gentleman das Recht absprechen, seine Interessen zu schützen.« Die Unverfrorenheit des Mannes war erstaunlich. Mit verschränkten Armen lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück und verhöhnte das Urteil sämtlicher Anwesenden. »Bisweilen betrügen Witwen den rechtmäßigen Erben. Wir alle haben davon gehört.«
»An die Rechte eines Gentlemans hätten Sie vor sechzehn Jahren denken sollen.« Der Anwalt ergriff wieder das Wort, und seine Brille glänzte im Sonnenlicht. »Bevor Sie sich dazu entschlossen, Untaten zu begehen, nach denen es Ihnen nicht gut ansteht, sich je wieder als Gentleman zu bezeichnen. Was Ihre Anspielungen im Hinblick auf Mrs Russell angeht, so will ich sie gar keiner Antwort würdigen.«
Natürlich kam Theo nicht umhin, einen Blick auf die Witwe zu werfen, um zu sehen, wie sie die Verteidigung aufnahm. Sie glich einer jener Märtyrerinnen, die in illustrierten Gebetbüchern abgebildet waren. Ihre Arme lagen in einem anmutigen Kreis über ihrem Bauch, die Finger verschränkt, und ihr niedergeschlagener Blick sprach von engelsgleicher Geduld, während das gereckte Kinn gleichzeitig rechtmäßigen Stolz zum Ausdruck brachte. Wenn er vor versammelter Tafel verkündet hätte, dass er mit dieser Frau im Bett gewesen war, hätte ihm nicht eine Menschenseele geglaubt.
Er räusperte sich und rang um so viel Unschuld, wie er konnte. »Wollen Sie damit sagen, dass Sie beabsichtigen, sich hier aufzudrängen und einer ehrbaren Frau zuzusetzen, bis das Ereignis eintritt, das die Erbfolge bestimmen wird?«
»Es ist mein Recht.« Er war ein wenig verdattert, wie ein Boxer mit einem übermächtigen Gegner. Seine Finger zuckten an den Ellbogen. »Es ist nicht ihr Haus. Sie kann mir den Zugang nicht verwehren.«
»Das kann niemand von uns.« Theo wechselte einen Blick mit Mr Rivers, Mrs Rivers, Granville und Mrs Canning und ihren Freundinnen. »Aber wir können Ihnen das Leben hier zur Hölle machen, solange Sie bleiben. Egal, wie Sie sich fortan verhalten, wird man Sie in dieser Gegend als jemanden ansehen, der unschuldigen jungen Frauen Gewalt angetan hat und nie zur Rechenschaft gezogen wurde. Und man wird Sie dementsprechend behandeln. Ihren guten Ruf als Gentleman haben Sie hier für immer verloren.«
»Und in der Stadt ebenso.« Mrs
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